Zuversicht in Zeiten der Pandemie

Expertin des Paul-Ehrlich-Instituts bilanziert bisherige Erfolge der Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen

Weniger als ein Jahr liegen zwischen der Publikation der genetischen Sequenz des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 am 12. Januar und der Zulassung des ersten dagegen wirksamen Impfstoffs in Europa am 21. Dezember 2020. Inzwischen hat die Europäische Kommission schon drei COVID-19-Impfstoffe zugelassen, 63 weitere befinden sich in klinischer Entwicklung (Stand 10.02.2021). Wie stark dieser exorbitante Erfolg unter anderem auch dem Engagement der Zulassungsbehörden zu verdanken ist, verdeutlichte Dr. Nadine Kirsch-Stefan im virtuellen Friday Talk „Development and regulation of COVID-19 vaccines in times of the pandemic“ im Rahmen des berufsbegleitenden Studienganges zum Master of Pharmaceutical Business Administration. Am Paul-Ehrlich-Institut leitet sie das Office for Scientific and Regulatory Advice (OSRA) des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DIZF), das DZIF-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern wissenschaftliche und regulatorische Unterstützung bei der Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen anbietet.

Spikeprotein war schon bekannt

Bis Anfang Januar hätten alleine im Paul-Ehrlich-Institut, das mit seiner Expertise maßgeblich in die zentralisierten europäischen Zulassungsverfahren eingebunden ist, 70 nationale Scientific Advice Meetings zur Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen und -Therapeutika stattgefunden, sagte Kirsch-Stefan. Die Entwicklung aller Impfstoffe profitiere dabei davon, dass die Erkenntnis, dass das antigene Target von Coronaviren deren Spikeprotein ist, bereits während der Erforschung des ersten SARS-Virus und des MERS-Virus gewonnen worden sei. Wenngleich die beiden ersten zugelassenen Impfstoffe sich der mRNA-Technologie bedienen, so macht diese neue Impfstoffklasse doch nur gut zehn Prozent der 63 Kandidaten aus, die sich derzeit in klinischer Entwicklung befinden. Fast ein Drittel davon versuchen dagegen, Bruchstücke des Virus direkt als Antigen zu nutzen. 16 Prozent nutzen replikationsinkompetente virale Vektoren wie beispielsweise harmlose Adenoviren, um das Virusantigen in den Körper zu schleusen, 14 Prozent inaktivierte Viren.

Schneller, aber sicher

Die Beratungsintensität durch Behörden wie das Paul-Ehrlich-Institut ist einer der Gründe für die Beschleunigung der Impfstoffentwicklung. Mehr noch gilt dies aber für die Ablösung des herkömmlichen sequenziellen Verfahrens durch einen überlappenden Prozess. Klinische Prüfungen, die sonst nacheinander stattfinden, können miteinander kombiniert werden. Mit der Phase II darf zum Beispiel schon begonnen werden, wenn grundlegende Sicherheitsdaten aus der Phase I vorliegen und nicht erst, wenn diese vollständig abgeschlossen sind. Hinzu kommt die Einführung des Rolling-Review-Verfahrens, das es den Unternehmen erlaubt, der Behörde ihre klinischen Prüfungsdaten sukzessive zur Bewertung einzureichen, und nicht warten zu müssen, bis ein vollständiger Zulassungsantrag ausgefüllt werden kann. Trotz dieser Beschleunigung erfolge die Prüfung von Sicherheit und Wirksamkeit mit aller gebotenen Sorgfalt, betonte Kirsch-Stefan. Das werde auch durch die Standards garantiert, die – von Beginn der Pandemie an – von internationalen Arbeitsgruppen verbindlich definiert worden seien, sowie durch das bisher beispiellose Ausmaß des offenen Datenaustausches zwischen Forschungsgruppen, Unternehmen, Organisationen und Behörden in aller Welt. Abstriche an der Qualität der Impfstoffe seien durch die Geschwindigkeit ihrer Entwicklung nicht zu befürchten.

Sorgfältige Risikoanalysen

So sei es selbstverständlich, dass die Zulassungsbehörden darauf achteten, bei der Prüfung eines COVID-19-Impfstoffes jedes theoretisch mögliche Risiko auszuschließen. Als ein Beispiel nannte Kirsch-Stefan das Phänomen infektionsverstärkender Antikörper (engl. ADE = antibody-dependent enhancement of disease), die ein Virus nicht neutralisieren, sondern dessen Aufnahme in bestimmte Zellen des Immunsystems begünstigen. In Tiermodellen habe sich gezeigt, dass dieses Phänomen bei COVID-19-Impfstoffen bisher nicht beobachtet wurde. Da diese Befunde sich aber nur bedingt auf den Menschen übertragen ließen, verlange die Zulassungsbehörde in jeder klinischen Studie eines COVID-19-Impfstoffs den Nachweis, dass die Impfung bei den Probandinnen und Probanden neben nicht-neutralisierenden auch insbesondere neutralisierende Antikörper hervorrufe. Zur Kontrolle der resultierenden Antikörperantwort werden unterschiedliche Seren von Revonvaleszenten einer symptomatischen SARS-CoV-2 Infektion eingesetzt.

Behörden bewerten jeden Impfstoff individuell

Die drei derzeit in Europa zugelassenen Impfstoffe von BioNTech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca sind ähnlich gut verträglich. Sie unterscheiden sich aber in ihrer geschätzten Wirksamkeit, wenn man nach Alter stratifiziert. „Je nach Altersgruppe wurden unterschiedlich häufig COVID-19-Erkrankungen in den eingeschlossenen Studienteilnehmenden beobachtet,“ erläuterte Kirsch-Stefan anhand der bisher vorliegenden Daten aus den Zulassungsstudien. Deshalb konnte nicht immer eine robuste Wirksamkeit für alle Altersgruppen ermittelt werden. In allen drei Fällen erteilte die Europäische Kommission eine bedingte Zulassung, die für die Zulassungsinhaber an bestimmte Auflagen geknüpft ist, beispielsweise die Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Vakzine auch nach der Zulassung in weiteren Studien zu bestätigen oder Ergebnisse bereits laufender klinischer Prüfungen weiter zu berichten. Die beiden mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna zeigten eine Wirksamkeit von 95 bzw. 94,1 Prozent; der vektorbasierte Impfstoff von AstraZeneca dagegen eine Wirksamkeit von knapp 60 Prozent. Warum letzterer im Licht der beiden ersten dennoch zugelassen, zumal er an viel weniger Probanden geprüft worden sei, wurde die Referentin gefragt. Die Zulassung eines Impfstoffs hänge von seiner je eigenen Nutzen-Risiko-Bewertung ab und nicht von einem Vergleich mit anderen, entgegnete Dr. Kirsch-Stefan. Zudem liege die Wirksamkeit des AstraZeneca-Impfstoffs oberhalb der von der WHO definierten Schwelle von 50 Prozent. Zuversichtlich zeigte sich Kirsch-Stefan darin, dass es den Zulassungsinhabern gelingen werde, falls nötig innerhalb weniger Monate Impfstoffe gegen Virusvarianten zu entwickeln.

Einschätzung zu weiteren Impfstoffen

Nach den Aussichten auf eine Zulassung des russischen Sputnik-Impfstoffs in der EU befragt, äußerte sich die Referentin zurückhaltend. Zumindest müssten nachvollziehbare Wirksamkeitsdaten vorgelegt werden, die eventuell im Rahmen der Post-Marketing-Surveillance generiert werden könnten. Für eine Bewertung ist der Vergleich des Impfstoffs, auch für eine Berechnung der Wirksamkeit, mit einer Kontroll-Gruppe notwendig. Warum die Entwicklung des CureVac-Impfstoffes im Vergleich zu den beiden bereits zugelassenen mRNA-Impfstoffen so lange dauere, wollte eine Zuhörerin wissen. Die Entwicklungsgeschwindigkeit hänge zum einen von firmeninternen Planungen und den Ergebnissen klinischer Prüfungen ab. Ein weiterer Aspekt könnte die Kooperationen mit anderen Firmen darstellen, antwortete Kirsch-Stefan. BioNTech zum Beispiel habe sehr früh die Zusammenarbeit mit Pfizer gesucht. Außerdem sei das Unternehmen mit vielen mRNA-Konstrukten parallel in die Phase I der klinischen Prüfung gegangen, um anschließend den aussichtsreichsten Kandidaten auswählen zu können. „Es sind kleine Unterschiede, die am Ende zu differierenden Zeitplänen führen.“

Lehrreich, aber nicht allgemein übertragbar

Lassen sich aus der erfolgreichen Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen Lektionen für die Arzneimittelentwicklung im Allgemeinen ableiten, um diese in Zukunft insgesamt zu beschleunigen, fragte ein Zuhörer. Nur sehr bedingt, entgegnete Dr. Kirsch-Stefan. Für die Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen sei viel privates und öffentliches Geld investiert worden, wie es im Normalfall nicht möglich sei. Die Hersteller hätten auf eigenes Risiko die Produktion hochgefahren, bevor sie sich einer Zulassung sicher sein konnten. Das würden sie im Normalfall nicht tun, sondern nach jedem Schritt der Entwicklung ihr ökonomisches Risiko neu bewerten. Zulassungsbehörden wie das Paul-Ehrlich-Institut wiederum hätten das Personal für die Zulassung von COVID-19-Impfstoffen auf Kosten anderer Abteilungen erheblich aufgestockt, ein Vorgang, der sich für andere Produkte nicht einfach wiederholen lasse. „Wir lernen aus dieser Pandemie eine Menge für die Zukunft“, bilanzierte die Referentin, „aber leider können wir das nicht eins zu eins auf andere Indikationen übertragen.“ .

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