Zukunftsweisende Zusammenarbeit

Roche-Vorstand lobt gute Kooperation zwischen privatem und öffentlichem Sektor in der Corona-Krise

Niemals zuvor musste das deutsche Gesundheitssystem so schnell auf eine globale Herausforderung reagieren wie während der Coronakrise – und niemals zuvor haben pharmazeutische Unternehmen untereinander sowie mit Politik, Behörden, Universitäten und Forschungsgesellschaften enger und besser kooperiert. „Diesen Grad der Zusammenarbeit hätte ich mir vor einem Jahr nicht vorstellen können“, sagte Prof. Dr. Hagen Pfundner. Er sei ein Grund dafür, dass Deutschland vergleichsweise gut durch die Krise gekommen sei, betonte der Vorstand der Roche Pharma AG in seinem virtuellen Vortrag „Die Pandemie und die Gesundheitsindustrie“ im Rahmen der Friday Talks des berufsbegleitenden Studiengangs zum Master of Pharmaceutical Business Administration. „Wir erleben gerade, wie wichtig es ist, sich im Krisenfall zusammenzuschließen. Ich hoffe, dass diese Erfahrung auch in Zukunft bisherige Kooperationshürden deutlich absenken wird.“

"Niemand hat ein Patentrezept"

Während es normalerweise Monate lang dauere, eine klinische Studie auf den Weg zu bringen, hätten die zuständigen Behörden und Komitees nun manchmal nur Tage gebraucht, um dafür grünes Licht zu geben. Pharma-Unternehmen wiederum hätten den Fokus ihrer Forschung blitzschnell verändert, ohne sich lange mit Renditeerwägungen aufzuhalten. „Noch nie wurden Wissen und neue Erkenntnisse so offen zwischen Industrie, öffentlichen Forschungseinrichtungen und Politik geteilt.“ Die Notwendigkeit kohärenter Lösungsansätze sei allen Beteiligten sofort bewusst gewesen. „Wir können nicht warten und sequentiell arbeiten, wir müssen uns zusammentun, niemand hat ein Patentrezept, um die Lösung allein zu finden“, habe die Devise gelautet. Kritik, dass die Politik die Industrie zu stark unterstützt habe, halte er nicht für angebracht, sagte Pfundner. „Wenn sie uns in die Lage versetzt, Tests innerhalb von Wochen statt von Jahren, Medikamente innerhalb von Monaten statt von Jahren und Impfstoffe innerhalb von ein bis zwei statt von drei bis fünf Jahren zu entwickeln, dann rechtfertigt das die öffentlich-private Zusammenarbeit.“

Die Stärken des deutschen Gesundheitssystems

So sei auch das dual organisierte deutsche Gesundheitssystem mit niedergelassenen Ärzten einerseits und angestellten Krankenhausärzten andererseits ein wichtiger Grund für die relativ gute Bewältigung der Pandemie in Deutschland.  „Das macht es einfacher, Patienten der richtigen Behandlung zuzuweisen und gleichzeitig die normale Versorgung aufrechtzuerhalten.“ In vielen anderen Ländern müssten Patienten für diese Triage dagegen durch das Nadelöhr eines Krankenhauses gehen. Hinzu komme die Zahl der Intensivbetten, die in Deutschland relativ zur Gesamtbevölkerung zu den höchsten der Welt gehöre. Dass das koordinierte Zusammenspiel zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor in Deutschland gut funktionierte, sei auch dessen Föderalismus zu verdanken. „Weil die Pandemie einige Bundesländer früher traf als andere, konnten diese effektiv und flexibel reagieren.“ Nicht zuletzt habe sich die Verfügbarkeit von Tests und der Zugang zu innovativen Medikamenten und medizinischen Geräten als hilfreich erwiesen.

Gesundheitsindustrie als Stabilitätsanker

Insgesamt, bekräftigte Pfundner, habe sich die Gesundheitsindustrie während der Krise als ein Anker sowohl der sozialen als auch der ökonomischen Stabilität bewährt. Die Erhaltung ihrer Gesundheit sei eines der fundamentalen Bedürfnisse aller Mitglieder unserer Gesellschaft – und die diesbezüglichen Erwartungen seien im Laufe der vergangenen Jahrzehnte insbesondere in den Industrieländern deutlich gestiegen. Aus gutem Grund: In Deutschland sei zum Beispiel die Mortalitätsrate von Herz-Kreislauf-Krankheiten seit 1970 um 60 Prozent gesunken. Die durchschnittliche Lebenserwartung betrage mehr als 80 Jahre. „Seit den 1950er Jahren ist sie im Mittel jedes Jahr um drei Monate gestiegen. Dazu haben in erster Linie die Medizin, die Medizintechnik und eine gesündere Lebensweise beigetragen.“ Ökonomisch wiederum sei die Gesundheitsindustrie in Krisenzeiten stets ein Stabilitätsgarant. Ihre Forschungs- und Entwicklungsausgaben erreichten fast die der Luft- und Raumfahrtindustrie, ihre Wirtschaftskraft sei deutlich stärker als die der Automobilindustrie, die so häufig als volkswirtschaftlicher Schlüsselsektor genannt werde.

Hochriskantes Geschäftsmodell

Innovationsfreundliche Rahmenbedingungen seien von entscheidender Bedeutung für die forschende Pharmaindustrie. Denn sie betreibe ein „Highrisk-Highreward“-Geschäft, in dem alle einen hohen Einsatz wagen müssten, aber nur sehr wenige einen hohen Gewinn einstreichen könnten. Von 100 Unternehmen, die den Versuch unternähmen, ein neues Produkt zu entwickeln, würde es in der Regel nur eines bis zum Markt schaffen. Der zunehmende Wettbewerbsdruck verkürze überdies immer mehr den Zeitraum, in dem eine patentierte Innovation hochprofitabel sei. Der nachhaltige Nutzen eines neuen Medikamentes dagegen zeige sich erst nach Ablauf dieser Exklusivitätsperiode, wenn es etwa auf der WHO-Liste essentieller Arzneimittel verzeichnet werde. „Unsere Branche muss also signifikant überinvestieren, um Erfolge erzielen zu können. Deshalb ist es richtig, dass der öffentliche Sektor sich in der Coronakrise mit Fördermitteln an der Entwicklung von Tests, Impfstoffen und Medikamenten beteiligt.“ Es habe zwar keiner staatlichen Unterstützung bedurft, um entsprechende Aktivitäten von mehr als 140 Unternehmen weltweit zu entfachen, um aber die Produktion und Belieferung ausreichender Mengen zügig zu verwirklichen und sicherzustellen, sei es sinnvoll, Steuergelder einzusetzen. 

Plädoyer für den unverpixelten Blick

Selbst das hoch entwickelte und in der Coronakrise bewährte deutsche Gesundheitssystem lasse sich aber noch verbessern, sagte Pfundner, vor allem im Bereich der Digitalisierung. „Wir brauchen einen klaren, unverpixelten Blick auf die Patienten, einen Blick durch eine Linse für alle, die mit den Patienten in Berührung kommen.“ Bisher seien die Daten, die seitens des Hausarztes und verschiedener Fachärzte erhoben würden, nicht miteinander verbunden. „Wenn wir dieses Problem lösten, würden wir den Zufall aus dem System nehmen und jedem äquivalenten Zugang zu Innovationen ermöglichen.“ Gesundheitsdaten seien nämlich die Essenz der Produkte der Gesundheitsindustrie. Aus ihnen entstünde das Wissen, das den eigentlichen Wert eines Medikamentes ausmache. Aggregierte Gesundheitsdaten könnten das Gesundheitssystem zudem vor Überforderung schützen, indem sie Patienten ihrem Risikoprofil entsprechend stratifizierten und Hochrisikogruppen schnelleren Zugang gewährten. Mit Einführung der elektronischen Krankenakte würden Patienten bald die Möglichkeit haben, ihre Daten verfügbar zu machen, wenn sie wollten. „Wir werden niemals individuelle Fälle betrachten, sondern immer nur Schlüsse aus Populationsanalysen ziehen“, unterstrich Pfundner. „Wir haben ein großes Interesse daran, Patientendaten zu schützen.“

Das Gleichgewicht gehalten

Abschließend lobte Pfundner die deutsche Politik ausdrücklich dafür, dass sie ihre Macht während der Coronakrise nicht – wie anderswo auf der Welt geschehen – dafür genutzt habe, private Unternehmen in eine staatlich verordnete Pflicht zu nehmen, sondern der Freiheit des privaten Sektors vertraut habe. Indem sie das Gleichgewicht zwischen dem privaten und öffentlichen Teil des Gesundheitswesens nicht gestört, sondern erhalten habe, sei es der deutschen Politik gelungen, unternehmerische Kräfte zu mobilisieren, die dem Kampf gegen das Coronavirus zugutekämen. Beeindruckt zeigte sich Pfundner auch von der Flexibilität, mit der die Bundesregierung europapolitisch auf die Coronakrise reagiert hat.  „Innerhalb von nur zwei Monaten hat sie die Agenda für ihre gerade begonnene EU-Ratspräsidentschaft völlig neu arrangiert.“ 

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