In der Geschwindigkeit, mit der sie das Medizinforschungsgesetz (MFG) als Teil ihrer Pharmastrategie verabschiedet und durchs Parlament gebracht habe, sei die Ampel-Koalition ausnahmsweise einmal gut gewesen, sagte der Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. med. Andrew Ullmann (FDP) bei der von ZEIT-Redakteur Jan Schweitzer moderierten Podiumsdiskussion „Pharmastrategie und Medizinforschungsgesetz – wie gelingt uns die Umsetzung?“ auf der 13. Jahrestagung des House of Pharma & Healthcare. „Ich bezeichne das gerne als wichtigen Schritt nach vorne, um wieder dorthin zu kommen, wo wir waren.“ Die Entbürokratisierung, Beschleunigung und Vereinfachung der medizinischen Forschung, die das Medizinforschungsgesetz verspreche (siehe dazu auch das Abschlussstatement des Expertentreffens zu diesem Thema), sei dazu angetan, die gesamte pharmazeutische Wertschöpfungskette zu revitalisieren, betonte der onkologische Internist und Infektiologe Ullmann: „Die Bürokratie ist das Krebsgeschwür unserer Forschungslandschaft.“ Seine Gesprächspartner Dr. Marion Zerlin, Geschäftsführerin Forschung & Entwicklung von Sanofi-Aventis Deutschland, und Prof. Dr. Jürgen Graf, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Frankfurt, widersprachen dem nicht, drangen vielmehr mit Vehemenz darauf, die Buchstaben des Gesetzes, das sie begrüßten, nun auch tatsächlich zum Leben zu erwecken. „Regularien und Verordnungen sind in der Medizin in den letzten Jahren in faszinierender Geschwindigkeit erlassen worden und bei manchen sind wir dankbar, dass sie noch nicht zur Umsetzung gekommen sind“, sagte Jürgen Graf. „Aber beim Medizinforschungsgesetz sollten wir uns jetzt damit beeilen, es wirklich in die Anwendung zu bringen.“
Die Umsetzung als Projektmanagement begreifen
Für eine gelungene Umsetzung sei es wichtig, Meilensteine zu setzen wie bei einem guten Projektmanagement, sagte Marion Zerlin. „Wir müssen den Fortschritt immer wieder monitoren, das Erreichte reflektieren und evaluieren und gegebenenfalls Nachschärfungen machen.“ Für die pharmazeutischen Unternehmen sei der Faktor Zeit ein wesentliches Entscheidungskriterium bei der Allokation klinischer Studien, und wenn die Genehmigung einer solchen Studie sich so lange und aufwändig hinziehe wie bisher in Deutschland, gingen die Kliniken des Landes eben leer aus. Sie hoffe deshalb, „dass wir dank der Umsetzung des Medizinforschungsgesetzes positive operative Ergebnisse erreichen“, sagte die Forschungsmanagerin. „Wenn es dank Harmonisierung und Standardklauseln in Zukunft schneller geht, dann haben wir für den Standort Deutschland wirklich etwas erreicht.“ Jürgen Graf bestätigte die große Bedeutung der vom MFG vorgesehenen Einführung von Mustervertragsklauseln zwischen den pharmazeutischen Sponsoren einer Studie und dem durchführenden akademischen Zentrum. „Die kooperativen Studien mit der Pharmaindustrie sind essenziell für die monetäre Förderung unserer Arbeit.“ Wenn sie allein auf die Alimentierungen des Landes und die Abrechnung ihrer Krankenversorgung angewiesen wären, würden mittlerweile 85 Prozent der deutschen Universitätsklinika defizitär arbeiten. Graf weiß, wovon er spricht. Er fungiert derzeit als Vorstand des Verbandes der Universitätsklinika Deutschlands. Aus gutem Grund habe er sich als Mediziner in den internen Verhandlungen für eine Standardisierung der Vertragsgestaltung eingesetzt, sagte Andrew Ullmann. Das durchzubringen sei freilich angesichts des Einwandes vieler Juristen, in Deutschland herrsche Vertragsfreiheit, nicht leicht gewesen.
Uniklinika hängen am Tropf der Konjunktur
Ob sein Eindruck, im MFG habe die Bundespolitik zum ersten Mal die Bedürfnisse aller Stakeholder des Gesundheitssystems beachtet, denn richtig sei, fragte Jan Schweitzer. „Es ist kein Geheimnis, dass die Universitätsmedizin sich von Herrn Lauterbach ganz gut gehört gefühlt“, antwortete Jürgen Graf. Der Anhörungsprozess während des Gesetzgebungsverfahrens sei eine einmalige Gelegenheit gewesen, das ein oder andere Thema anzusprechen, das über Dekaden hinweg übergangen worden sei. „Die Universitätsklinika leisten Außergewöhnliches, wofür es nie eine Anerkennung geschweige denn eine Ausgleichszahlung gegeben hat.“ Deutschland sei eines von wenigen Ländern auf der Erde, die die Versorgung in den Universitätsklinika gleich vergüten wie die in einem Kreiskrankenhaus. „Dabei wird völlig ignoriert, dass unsere Qualität der Patientenbehandlung nur mit höheren Kosten zu bewerkstelligen ist.“ Trotz aller Vorteilen, die sie bei der Translation hätten, deren Möglichkeiten in Deutschland sensationell und in Frankfurt mit seinem Fraunhofer ITMP noch besser seien, setze das die deutschen Universitätsklinika gerade in der derzeit angespannten Wirtschaftslage unter unglaublichen finanziellen Druck. „Wir hängen nämlich direkt an der Konjunktur. In den letzten 10, 15 Jahren hat uns die Zuschussförderung aus wachsenden Steuereinnahmen gerettet. Diesen Zuwachs wird es vorerst nicht mehr geben.“ Insofern sei es besonders wichtig, das MFG mit klaren Zielwerten schnell in die Operationalisierung zu bringen, zum Beispiel wie lange es maximal bis zur Freigabe einer Studie dauern dürfe. „Sonst haben wir ein Gesetz, das die Voraussetzungen für etwas verbessert, das wir finanziell gar nicht mehr in der Lage sind umzusetzen.“ Vielleicht müssten die Universitätsklinika auch über des MFG kreativer nach strategischen Lösungen suchen, um die Finanzlücken mindestens zu kompensieren. „Angesichts der Geschwindigkeit, mit der andere Länder sich bewegen, sollten wir sie besser überkompensieren.“
Forschende Ärzte brauchen Freiheit
Die akademische Forschung mit der Pharmaforschung zusammenzubringen, das sei wie das „Yin und Yang der Innovationskraft“, ergänzte Marion Zerlin und gab gleichzeitig der Befürchtung Ausdruck, dass China das überregulierte Europa überholen werde. Eine Regulatorik wie dort, wo der Zweck die Mittel heilige, sollte man sich aber besser nicht wünschen, entgegnete Graf. Es komme hierzulande vor allem darauf an, wissenschaftlichen Talenten die Möglichkeit zu geben, ihre Potentiale auszuschöpfen und ihre Projekte in angemessener Zeit umzusetzen, statt sie durch immer kleinkariertere Vorschriften vor den Kopf zu stoßen und irgendwann aus dem Land zu treiben. „Dass sie bei Mäusen am Wochenende zweimal täglich eine Visite nachweisen müssen, ist aus praktisch-medizinischer Sicht verwunderlich.“ Ein Gesetz, wonach Patienten im Krankenhaus an einem Sonntag zweimal visitiert werden müssten, gebe es nicht. „Wir müssen einen gesamtgesellschaftlichen Konsens darüber finden, wie wir die biomedizinische Grundlagenforschung und die klinische Forschung für junge Menschen attraktiv machen.“ Es komme darauf an, Ärzte für Forschung zu begeistern, statt sie dabei zu frustrieren. Das müsse schon im Studium beginnen. „Wenn die Studierenden mitbekommen, dass die Unikliniken wissenschaftliche Betriebe sind, in denen es um Forschung geht, dann wird sie das begeistern. Ich kann mir das nicht anders vorstellen. Wer studieren geht, ist neugierig. Und dieser Neugierde müssen wir Raum und mehr Freiheiten geben. Die Universität ist ein Ort der Freiheit und sollte das bitte auch bleiben.“ In diesem Sinne, da waren sich die drei Diskutanten einig, setzt das Medizinforschungsgesetz einen dringend notwendigen Handlungsrahmen. Es gibt erste Schritte in die richtige Richtung vor. Nun gilt es, diese Schritte schleunigst zu tun. Denn Resultate sind wichtiger als Absichtserklärungen.