„Wir erleben ein Impfstoffwunder“

Wirksamkeit der Covid-19-Vakzine ist ein Triumph der Biotechnologie

„Ohne Gentechnik hätten wir heute noch keinen Impfstoff“, sagte Professor Jochen Maas am Ende seines Online-Vortrages vor den Freunden und Förderern der Goethe-Universität. Für die Zukunft seien Zivilgesellschaft und Politik deshalb gut beraten, offener gegenüber neuen Technologien zu sein. Denn weitere Pandemien würden mit Sicherheit kommen. Darauf müsse man nicht nur biotechnologisch, sondern auch durch Pandemiepläne, Schutzausrüstung und vor allem durch digitale Lösungen vorbereitet sein. Taiwan mit seinen 25 Millionen Einwohnern habe gezeigt, wie das gehe. Nur zehn Todesopfer habe die Pandemie dort bislang gefordert, während das gut dreimal so große Deutschland schon 80.000 Coronatote zu beklagen habe. Vor diesem Fazit hatte Maas, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung von Sanofi Aventis Deutschland und Vizepräsident des House of Pharma & Healthcare, seinem Auditorium einen Überblick über die Beschaffenheit, Herstellung und Wirksamkeit der Covid-19-Impfstoffe gegeben.

Impfzentren reichen nicht aus

Von einem Impfstoffdesaster zu sprechen, wie es Deutschlands populärstes Boulevardblatt nicht müde werde zu tun, sei völlig verfehlt, sagte Maas. Vielmehr handele es sich bei dem, was wir gerade erlebten, um ein Impfstoffwunder. Zwei mRNA- und zwei Vektorimpfstoffe seien in Europa bereits zugelassen, hinzu kämen voraussichtlich spätestens im vierten Quartal die ersten Proteinimpfstoffe, so dass Ende dieses Jahres bereits sieben bis acht Impfstoffe zur Verfügung stünden. Schon für das derzeit laufende zweite Quartal seien in Deutschland 77 Millionen Dosen Impfstoff eingeplant. Selbst wenn Astra Zeneca und Johnson & Johnson Schwierigkeiten haben sollten, ihre Produktions- und Lieferzusagen einzuhalten („die haben im Gegensatz zu Biontech, das übererfüllt, den Mund ein wenig zu voll genommen“), stünden bis Ende Juni noch immer 50 Millionen Dosen bereit, was die Kampagne deutlich voranbringen werde. Der Engpass sei derzeit also nicht die Verfügbarkeit von Impfstoffen, sondern die Kapazität der Impfzentren, die bundesweit nur eine Kapazität von rund 200.000 Impfungen pro Tag hätten. „Wir brauchen aber eine Million oder sogar mehr täglich, um so schnell wie möglich zu einer Herdenimmunität zu kommen.“ Es sei also dringend notwendig, Haus-, Fach- und Betriebsärzte umfassend einzubeziehen.

Fracht für 8000 Jumbojets

Weltweit würden mindestens zehn Milliarden Dosen Impfstoff gebraucht, um der Pandemie Herr zu werden, sagte Maas. Aber nicht allein das bedeute eine große Herausforderung – hinzu käme eine entsprechend hohe Zahl von Kanülen, Ampullen, Stopfen und anderem Zubehör, ganz zu schweigen von dem enormen logistischen Aufwand, den die weltweite Verteilung von zehn Milliarden Impfdosen erfordere, die als alleinige Fracht 8000 Jumbojets füllten. Naiv sei die medial manchmal kolportierte Vorstellung, eine Impfstofffabrik lasse sich eben mal schnell „auf der grünen Wiese errichten“. Vielmehr handele es sich bei der Impfstoffproduktion um einen außerordentlich komplexen Prozess. „Sie brauchen zum Beispiel bestens geschultes Personal und exakte Lieferketten für die rund 100 Ingredienzien.“

Keine Abstriche bei der Sorgfalt

Auch wenn die Entwicklung der Covid-19-Impfstoffe nach früheren Maßstäben unvorstellbar schnell erfolgt sei, betonte Maas, müsse man sich hinsichtlich der Gründlichkeit ihrer Erprobung überhaupt keine Sorgen zu machen. „In die klinische Prüfung dieser Impfstoffe waren genauso viele Probanden eingeschlossen wie bei anderen Impfstoffen auch.“ Was den Preis betreffe, so gebe es große Unterschiede zwischen den vier erstverfügbaren Impfstoffen. „Aber der Wert dieser Impfstoffe ist eigentlich unermesslich, wenn sie sich die Folgen der Pandemie anschauen.“ Angesichts dessen könnten alle Preise als moderat gelten. „Jedes Gesundheitssystem kann sie sich leisten.“ Ein Grund übrigens, warum die USA bei der Impfstoffproduktion einen so großen Vorsprung vor Europa hätten, sei ihr Mut gewesen, schon im Mai vergangenen Jahres über ihre Biomedical Advanced Research And Development Authority (BARDA) 20 Milliarden Dollar Risikokapital für den Aufbau von Produktionskapazitäten bereitzustellen. Das habe sich in der EU damals niemand getraut, inzwischen habe die Kommission mit der Health Response Emergency Authority (HERA) eine vergleichbare Behörde geschaffen. Ein weiterer Grund für den Vorsprung der USA und Großbritanniens beim Impfen läge darin, dass es für die Vakzine dort Notfallzulassungen gegeben habe, bei denen der Staat die Haftung übernimmt, während die EU bedingte Zulassungen erteilt habe, bei denen der Hersteller haftet.

Gentechnik als Ausgangspunkt

Alle drei Covid-19-Impfstoffklassen – und hier kommt die Gentechnik ins Spiel – gehen von einem Stück der Erbinformation des Virus aus, das für dessen Spikeprotein codiert. Bei den Vektorimpfstoffen wird diese DNA in einem abgeschwächt lebenden, für Menschen harmlosen Erkältungsvirus von Schimpansen verimpft. In unserem Körper bildet dann der Virusvektor das Spikeprotein als Antigen, auf den unser Immunsystem reagiert. Bei Proteinimpfstoffen wird das pure Spikeprotein zusammen mit einem immunstimulierenden Adjuvanz verimpft, nachdem sein Gen vorher in Zellkulturen von Insekten wie zum Beispiel Raupen des Nachteulenfalters vermehrt worden ist. Bei der Herstellung von mRNA-Impfstoffen schließlich wird die fragliche DNA innerhalb weniger Tage in E.coli-Bakterien milliardenfach vermehrt, danach von einem ihrer Stränge die komplementäre Boten-RNA abgelesen. Wenn sie verimpft wird, übermittelt sie unserem Körper direkt und ohne Umwege den Bauplan zur Produktion des Spikeprotein-Antigens. „Dieses Herstellungsverfahren dauert nur sechs Wochen und ist ganz klar eine Revolution in der Impfstoffentwicklung, auch weil es so schnell auf Mutanten des Virus adaptierbar ist“, sagte Maas.

Mutationen gehören dazu, Risiken sind relativ

Eine Mutation sei jedoch „kein apokalyptisches Geschehen, sondern ein völlig wertfreier biologischer Vorgang“. Irgendwann mutierten alle Viren, sei es zum Schlechten, sei es zum Guten. Verglichen mit dem Grippevirus habe SARS-Co-V2 eine 7- bis 10-mal geringere Mutationsrate. Die bisher aufgetretenen Mutationen zeigten zwar eine höhere Ansteckungsgefahr, aber keine erhöhte Morbidität und Mortalität. Beruhigend sei auch zu wissen, dass Impfstoffe nie ganz unwirksam würden. Wir sollten vor Mutationen also Respekt, aber keine Angst haben, betonte Maas. Auch rückte er die mit Vektorimpfstoffen verknüpften Risiken in eine angemessene Relation. Stand 8. April seien bei insgesamt 34 Millionen Impfungen mit dem Astra Zeneca-Impfstoff 169 Sinusvenenthrombosen aufgetreten. Das entspreche einer Inzidenz von 0,00005%. Demgegenüber liege die Todesrate einer Covid-19-Erkrankung bei ein bis zwei Prozent. „Die Gefahr, an Covid zu sterben, ist über alle Altersgruppen gerechnet vieltausendfach höher als die einer lebensbedrohlichen Impfnebenwirkung.“ Auch denjenigen, die jünger als 60 Jahre alt seien, würde er zu einer Impfung mit Astra Zeneca raten, wenn sich ihnen diese Möglichkeit eröffne.

Impfen wirkt – und wie! 

Dass bisher noch keine Covid-19-Impfstoffe für Kinder und Jugendliche zugelassen seien, was für das Erreichen einer Herdenimmunität essentiell sei, liege nicht „an schlechten, sondern nur an fehlenden Daten“. Inzwischen gebe es aber sehr ermutigende Ergebnisse einer Prüfung des Biontech-Impfstoffs an 12-15jährigen Probanden und von Moderna erwarte man im dritten Quartal die Ergebnisse einer großen Studie mit Kindern unter 12 Jahren. Besonders gute und zuversichtlich stimmende Nachrichten über die Wirksamkeit von Covid-19-Impfungen gebe es aus Israel zu vermelden, bilanzierte Maas. Zwischen Anfang dieses Jahres und dem 12. April betrug die Impf- bzw. Durchseuchungsrate dort bereits 85 Prozent. Mit sensationellem Erfolg: Das Land verzeichnet inzwischen in seiner Bevölkerung gegenüber Mitte Januar 98 Prozent weniger Infektionen, 93 Prozent weniger schwere Verläufe und 87 Prozent weniger Todesfälle. 

 

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