Transformation als zentrale Führungsaufgabe

Vorständin von Berlin-Chemie spricht über Change Management im Angesicht generativer KI

Christiane von der Eltz ist die einzige Frau im sechsköpfigen Vorstand der Berlin-Chemie, einer Tochtergesellschaft der Menarini-Gruppe, dem führenden italienischen Pharmaunternehmen, das einen Umsatz von jährlich rund 4,6 Milliarden Euro erwirtschaftet. Wie sie in diese Position gekommen ist, erläuterte die Pharmazeutin beim Friday Talk des House of Pharma und Healthcare und der Goethe Business School im Rahmen des berufsbegleitenden Studiengangs zum Master of Pharmaceutical Business Administration. Ihre Karrieretipps stießen bei den Studierenden auf reges Interesse und große Nachfrage. Sie standen aber nicht im Vordergrund ihres Vortrages, in dem sie sich unter dem Titel „From Strategy to Impact: The Executive Board’s Role in Transformation Success“ vor allem damit beschäftigte, wie sich der durch generative künstliche Intelligenz (Gen AI) hervorgerufene Transformationsdruck in der pharmazeutischen Industrie effektiv aufnehmen und produktiv umsetzen lässt.

Ein Lob für den Frankfurter Pharma MBA

Neugier nannte die Managerin als erste Qualität, die ihr auf dem Weg an die Spitze geholfen hat. Sie werde nicht müde, dazuzulernen und sich Neues anzueignen. Deshalb habe sie es bei ihrer Qualifikation zur Apothekerin nicht belassen, sondern Kurse an mehreren Business Schools belegt, um dort von Marketing über Finanzwesen bis zur Mitarbeiterführung das zu lernen, was im Pharmaziestudium nicht vorkommt, aber zum Arbeitsalltag jedes Pharmaunternehmens gehöre. „Gut, dass es heute hier in Frankfurt den Pharma MBA gibt“, sagte sie. „Da können Sie unter einem Dach alles lernen.“ Flexibilität nannte von der Eltz als zweite Qualität. „Je flexibler Sie sind, desto leichter werden Sie Karriere machen.“ Frauen hätten es in dieser Hinsicht freilich noch immer schwerer als Männer. „Wegen meiner zwei Söhne musste ich aus Familiengründen manchmal Nein sagen, wenn der nächste Karriereschritt angestanden hätte.“ Entmutigen ließ sich Frau von der Eltz dadurch nicht. Sie zählt zu den Gründungsmitgliedern des Schweizer Ablegers der Working Moms e.V., einem Netzwerk engagiert berufstätiger Mütter. Womit eine weitere Qualität ins Spiel kommt: Die Kraft der Vernetzung. „Praktizieren Sie so viel Networking wie möglich“, empfahl die Referentin ihrem jungen Publikum. „Es lohnt sich. Außer meiner ersten Stelle habe ich alle weiteren Karrierestufen durch Networking erreicht. Ich musste mich nie bewerben. Alle neuen Positionen ergaben sich aus meinem Netzwerk.“ So stieg von der Eltz von der Pharmavertreterin bei MSD über Stationen bei Eli Lilly und Pfizer zur Direktorin einer Business Unit bei Merck auf. Später schickte das deutsche Unternehmen sie als General Manager in die Niederlande und in die Schweiz. Vor drei Jahren berief Berlin-Chemie sie zu dem für das Deutschlandgeschäft verantwortlichen Vorstandsmitglied.

Mehr Hoffnungen als Ängste?

Um eine solche Vorstandsrolle auszufüllen, so von der Eltz, sei breites und tiefes Wissen über die pharmazeutische Industrie von großem Vorteil. „Arbeiten Sie im Lauf Ihrer Karriere in so vielen Fachabteilungen wie möglich!“, sagte sie. Unbedingt notwendig seien ferner Führungserfahrung und die Freude daran, zu kommunizieren und Einfluss auszuüben. Zum Rüstzeug einer Entscheiderin im Top-Level, das sie sich über Jahre hinweg erworben habe, gehörten außerdem die Fähigkeit, strategisch zu denken und finanziell den Überblick zu behalten, sowie die Grundsätze der Unternehmensführung und des Risikomanagements zu beherrschen. So ausgestattet könne man sich dann einer zentralen Aufgabe modernen Executive Managements widmen: Transformation zu steuern. „Sie müssen erkennen, wann Transformation erforderlich ist. Sie müssen die Transformation dann lostreten und so lange steuern, bis sie vollzogen ist und ihr Ziel erreicht hat. Sonst laufen sie Gefahr, dass sie irgendwo in der Mitte steckenbleibt und versandet.“ Die Notwendigkeit, die Geschäftsprozesse eines Unternehmens zu transformieren, könne aus einer Vielzahl externer wie interner Veränderungen resultieren, die häufig miteinander in Wechselwirkung stünden. Als externe Faktoren seien hier etwa Veränderungen der geopolitischen Lage, der gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen, des Wettbewerbsumfeldes oder der Kundenstruktur zu nennen, als interne Neuaufstellungen des Produktportfolios, sich verändernde Geschäftsergebnisse oder neue Teamanforderungen. Als stärkster aller Transformationstreiber erweist sich aber gegenwärtig ein Faktor, mit dem vor wenigen Jahren noch niemand in dieser Form gerechnet hatte: Die generative künstliche Intelligenz (Gen AI). Wer sie in die Arbeitswelt einführen will, muss seine Beschäftigten dort abholen, wo sie stehen, meist ohne jede AI-Erfahrung und gleichzeitig voller Hoffnungen und Ängste, was die für sie völlig neue Technologie betrifft. Von der Eltz zitierte aus einer Umfrage, die die Wirtschaftsberatungsgesellschaft PWC jüngst unter 56.600 Arbeitskräften in 50 Ländern durchgeführt hatte. Rund drei Viertel der Befragten erwarten demnach zwar, dass Gen AI ihnen die Chance eröffnen könne, besser und kreativer zu arbeiten. Rund die Hälfte – es gibt offenbar eine relativ große Schnittmenge – befürchtet aber auch negative AI-Auswirkungen auf ihre Arbeit.

Ein enorm hohes Wertschöpfungspotential

Die Referentin erinnerte daran, wie sehr viele Pharmaunternehmen derzeit in einem dynamisch-krisenhaften Umfeld darum ringen, ihr Geschäft profitabel zu halten. „Dabei kann künstliche Intelligenz sehr hilfreich sein.“ Einer McKinsey-Studie zufolge schlummere in Gen AI das Potential, die Wertschöpfung der pharmazeutischen Industrie um jährlich 60 bis 110 Milliarden US-Dollar zu erhöhen, vor allem in den Bereichen Marketing und Forschung und Entwicklung. „Es gibt kaum ein Gebiet in unserem Geschäft, auf dem die künstliche Intelligenz zukünftig nicht gegenwärtig sein wird.“ Es sei aber sicher nicht erfolgreich, sein Team ins kalte Wasser zu werfen mit der Ansage: Arbeitet mit KI! Vielmehr müsse man geduldig und beharrlich ein Change Management betreiben, das jeden auf die Reise mitnehme und jede Ecke des Dreiecks der Veränderung berücksichtige. Für Berlin-Chemie sei das angesichts eines Durchschnittsalters der Belegschaft von über 45 Jahren eine besondere Herausforderung.

55 Prozent der Beschäftigten nutzen schon Gen AI

Strategie und Vision – Struktur – Kultur: Das sind die drei Ecken des Triangle of Change, auf die Christiane von der Eltz Bezug nahm. Unter der Voraussetzung einer klaren Vision und Strategie und einer leistungsfähigen IT-Infrastruktur ist die Unternehmenskultur dabei die Ecke, in der initial am intensivsten gearbeitet werden muss. Konkret bedeutet dies für Christiane von der Eltz: Sie gewährt jedem Mitglied ihres mehr als 500-köpfigen Teams den Freiraum, Gen AI eigenverantwortlich anzuwenden – ein Empowerment, das seine Grenzen in dem Rahmen findet, den die Unternehmenszentrale vorgibt. Sie fördert in diesem Freiraum einen Teamgeist, der Fehler nicht als Scheitern, sondern als Lernimpuls begreift, der in fortdauernden Feedback-Schleifen anerkannt und kommuniziert wird. Zusätzlich zu dieser individuellen Motivation, das wurde in der Diskussion deutlich, verlangt Gen AI auf Dauer eine Neuorganisation vieler Geschäftsprozesse im Sinne eines Rewiring. Stolz ist von der Eltz darauf, dass sich die KI-Kompetenz der gesamten Belegschaft der Berlin-Chemie innerhalb von nur acht Monaten mehr als verdoppelt hat. Nutzten im September 2024 erst 24 Prozent aller Beschäftigten regelmäßig KI für ihre Arbeit, waren es im Mai 2025 schon 55 Prozent. Das sei vor allem der Tatsache zu verdanken, sagte die Referentin, dass Menarini unternehmensweit Google Gemini zur Verfügung stellt und die deutsche Organisation Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Hierarchiestufen wiederholt in dessen Nutzung geschult habe. Kontinuierliche Kommunikation sorge dafür, dass sich das Gelernte immer weiter verfestige und in die Arbeitsroutine von immer mehr Beschäftigten Eingang finde. Key Performance-Indikatoren für KI-gestützte Prozesse gebe es bei Berlin-Chemie nicht, sagte Christiane von der Eltz, wohl aber eine Task Force, die Vorschläge erarbeitet, in welchen Bereichen man KI am effektivsten nutzen könne. Aus deren Ideen ergäben sich mancherlei Chancen, zumal dann, wenn man das in den 2010er Jahren populär gewordene Konzept eines beidhändigen Führungsstils beherzige (ambidextrous leadership), der Effizienz in der Gegenwart mit Innovation für die Zukunft geschickt verbindet. Entlassen worden ist bei Berlin-Chemie aufgrund der Einführung von KI niemand.

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