Plädoyer für eine Agentur zur Pandemieprävention

Podiumsgespräch thematisiert Aufgaben in der „neuen Normalität“

„Die Bundeskanzlerin hat auf Forschung und Entwicklung ungeheure Priorität gelegt“, sagte Dr. Michael Meister, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). „Ich wünsche mir, dass diese Prioritätensetzung bleibt.“ Unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahl gelte es, Strukturen zu schaffen, die der Prävention künftiger Pandemien dienten, sagte Meister bei einer Podiumsdiskussion, die sich anlässlich der 10. Jahrestagung des House of Pharma & Healthcare mit der Frage befasste, welche Lehren aus der Pandemie für die neue Normalität zu ziehen seien. „Dafür muss es eine Agentur geben, die sich darum kümmert. Ich würde es für einen klugen Schritt halten, sie am Paul-Ehrlich-Institut anzudocken.“ Dessen Präsident Professor Klaus Cichutek hob die besondere Eignung seines Instituts (PEI) für eine solche Aufgabe hervor. Verkörpere das PEI als forschende Zulassungsbehörde mit produktspezifischer Fokussierung auf Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel sowie starker Pharmakovigilanz doch ein in Europa einmaliges Modell. „Wir begleiten den gesamten Lebenszyklus neuer Produkte von ersten Forschungsergebnissen bis zur Nebenwirkungsbeobachtung, da haben wir ein Plus gegenüber der akademischen Forschung und der Industrie, die nur jeweils ihren eigenen Ausschnitt betrachten.“

Anschub für die Translation

Mit dem Netzwerk Universitätsmedizin habe das BMBF 2020 bereits einen Grundstein für die gemeinsame Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen gelegt. „Auch die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG) sind eine sinnhafte Struktur.“ Für die Zukunft seien zwei Punkte besonders wichtig, sagte Meister. „Wir müssen die Forschungszusammenarbeit in der EU stärken und sollten uns dabei die USA zum Vorbild nehmen.“ Er empfahl, eine mit deren Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA) vergleichbare Behörde auch in Europa aufzubauen, um die supranationale Forschung voranzubringen. Zweitens seien bessere Voraussetzungen für die Translation aus der Grundlagenforschung in die Anwendung zu schaffen. Das betreffe besonders die Finanzierung vielversprechender Start-ups in ihrer Aufbauphase. „Bei BioNTech haben wir das zum Glück rechtzeitig erkannt.“ Die Firma war 2006 als Sieger aus dem ersten GoBio-Wettbewerb des BMBF hervorgegangen. Allerdings habe sich die damalige Förderung auf die Onkologie bezogen, gab Klaus Cichutek zu bedenken. „Auch wenn wir uns wegen BioNTech in Deutschland alle auf die Schulter klopfen, haben wir doch ein gehöriges Maß an Glück gehabt.“ Was es nämlich in der deutschen Forschungslandschaft so gut wie gar nicht gebe, das sei „eine tatsächliche Impfstoffszene“. Der Übergang von der Grundlagen- und Impfstoffstrategieforschung in die Impfstoffentwicklung sei immer noch sehr schwer. Er sei froh, dass es mit dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung im Rahmen der DZG immerhin einen Prototyp für diese Translation gebe. Unabdingbar für den Erfolg solcher translationalen Forschung sei eine starke Pharma- und Biotech-Industrie, „denn die trägt dann die Produkte weiter über die harten regulatorischen Herausforderungen“.

Abschied von Standardlösungen

Das bekräftigte Dr. Dorothee Brakman als Mitglied der Geschäftsleitung von Janssen Deutschland. „Die Krise hat gezeigt: Ohne forschende Unternehmen geht es nicht. Es ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte, dass der erste COVID-19-Impfstoff aus Deutschland kam.“ Ein Unternehmen wie Johnson & Johnson beispielsweise, der Mutterfirma von Janssen, entwickele aber neben Impfstoffen auch andere Arzneimittel.  „Hätten wir ein Medikament zur Behandlung von COVID entwickelt, dann hätten wir dafür nicht nur eine Zulassung gebraucht, sondern damit auch durch den Prozess der Nutzenbewertung gemusst.“ In Deutschland gebe es also noch Prozesse, „die passen gar nicht, nicht auf Agilität, nicht auf Schnelligkeit, nicht auf besondere Herausforderungen“. Zweifelsohne habe die Pandemie innovationsfördernde Rahmenbedingungen geschaffen und allen Stakeholdern gezeigt: „Wir können, wenn wir wollen und wir müssen.“ Um diese gute Zusammenarbeit fortzusetzen, halte sie es aber für notwendig, „unser Gesundheitssystem noch mal unter die Lupe zu nehmen“ und im Sinne einer value-based healthcare dessen Funktion vom gewünschten Ergebnis her zu denken: „Wo wollen wir hin und was braucht es dafür?“ Dazu gehöre der Mut, von Standard- und Gießkannenlösungen wegzukommen.

Aufgabe von Herrschaftswissen

„Die Pandemie ist ein Brennglas gewesen, um zu bestätigen, was wir schon vorher erkannt hatten: Hier und da müssen wir noch besser arbeiten“, bestätigte Professor Raoul Klingner, in der Fraunhoferzentrale für Forschungsmanagement und -governance zuständig. Wie im Geschäftsleben insgesamt werde die Zukunft auch in der Forschung in der Balance zwischen digitalen Formaten und persönlichem Austausch liegen, „die Art und Weise zu forschen werde sich immer mehr zu digitalen Tools“ hin verschieben. Auch bei der Translation, die wie Moderator Andreas Horchler bemerkte „ja auch Aufgabe von Herrschaftswissen“ bedeute, komme der Digitalisierung zunehmende Bedeutung zu, so etwa bei der Verwirklichung des Konzepts einer vorwettbewerblichen Proof-of-Concept-Plattform, die Fraunhofer gemeinsam mit der Helmholtz-Gesellschaft und der Deutschen Hochschulmedizin verfolge. Neben der Translation sei das wichtigste Stichwort Produktion, ergänzte Klingner. Einerseits, um in Zukunft die Versorgungssicherheit, deren Gefährdung während der Pandemie evident geworden sei, besser zu gewährleisten. Andererseits, um Innovationen so schnell wie möglich aufzuskalieren. Es sei nicht trivial gewesen, den neuen COVID-19-Impfstoff in solchen Mengen zu produzieren. In der individualisierten Medizin, die dank der Fortschritte in der Zell- und Gentherapie in greifbare Nähe rücke, werde zudem die präzise Produktion „dieser wunderbaren individuellen Pharmazeutika“ vonnöten sein. Dem versuche Fraunhofer, mit seinem Konzept Pharma 4.0 gerecht zu werden.

Hoffen auf Rückenwind

Wie wird es weitergehen in der neuen Legislaturperiode? Dorothee Brakman hofft, dass der versprochene politische Rückenwind für den Forschungsstandort Deutschland in allen Bereichen tatsächlich weht. „Lassen sie uns den Dialog weiterführen“ ist ihr Wunsch an die Politik. Klaus Cichutek wünscht sich vor allem „ein gut besetztes Gesundheits- und Forschungsministerium und eine gute Zusammenarbeit zwischen beiden“. Nur so könne es vorwärts gehen. Und Michael Meister meinte: „Wir brauchen nicht nur evolutionäre, sondern auch revolutionäre Forschung. Deshalb wünsche ich mir, dass die Agentur für Sprunginnovationen noch mehr in Gang kommt.“

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