Nach der Pandemie ist vor einer Pandemie

Beim nächsten Mal müssen wir besser vorbereitet sein

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) stand mit im Zentrum der Pandemiebekämpfung und Prof.  Klaus Cichutek darf stolz darauf sein, was er und sein Team dabei seit Anfang 2020 geleistet haben. „Wir haben aber auch Glück gehabt“, gestand der Präsident des PEI beim Hauptstadt Summit des House of Pharma and Healthcare in der Hessischen Landesvertretung in Berlin ein. Dort nahm er an der Podiumsdiskussion zum Thema „Infektionen bekämpfen – was haben wir aus bisherigen Pandemien gelernt?“ teil. „Ich benutze das Wort Glück mit Absicht“, betonte Cichutek, “weil wir noch viel tun müssen, um zu einer Planbarkeit und vernünftigen Infrastruktur zu kommen, wenn wir für die nächsten Pandemien gerüstet sein wollen.“ Deutschland habe zwar generell ein gutes und robustes Gesundheitssystem, aber es sei eben auch Zufall gewesen, dass es zwei heimische Hersteller und Entwickler von mRNA-Impfstoffen gegeben habe, die das PEI unbürokratisch unterstützen konnte. Dass einer dieser Impfstoffe eine so hohe Wirksamkeit zeigte, habe man nicht vorausberechnen können. „Es hilft also nichts, bei der nächsten Pandemie darauf zu hoffen, dass gerade wieder etwas in der Immuntherapie gemacht wird, was sich dann schnell zum Impfstoff entwickeln lässt.“ Man dürfe auch nicht vergessen, dass der Schlüsselfaktor für die unerwartet hohe Wirksamkeit der COVID-19-Impfstoffe das präzise Antigen-Design gewesen sei, das auf dem vor Jahrzehnten erworbenen Wissen über SARS-CoV-1 aufbauen konnte. „Wir müssen nachhaltig für kommende Pandemien planen“, bekräftigte Cichutek. Die Errichtung des am PEI angesiedelten Zentrums für Pandemie-Impfstoffe und -Therapeutik (ZEPAI) durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) im Oktober 2021 sei dafür ein wegweisender Schritt.

 „Mein schönstes Weihnachtsgeschenk ever“

Auf einen weiteren Glücksfall bei der Impfstoff-Entwicklung während der SARS-CoV-2-Pandemie wies der Medizinische Direktor von Pfizer Deutschland, Dr. Daniel Kalanovic, hin. Schon 2018 waren Pfizer und BioNTech nämlich in eine Kooperation eingetreten, um einen neuen Grippeimpfstoff auf mRNA-Basis zu entwickeln. „Dabei entstand das Vertrauen, das nötig war, um später so schnell und unkompliziert in die gemeinsame Entwicklung eines COVID-19-Impfstoffs einzusteigen.“ Welche Erlösung es für sie war, als dieser Impfstoff vom 26. Dezember 2020 an verfügbar wurde, daran erinnerte sich Susanne Herold, Professorin für Infektionskrankheiten der Lunge am Universitätsklinikum Gießen und Marburg. „Es war mein schönstes Weihnachtsgeschenk ever. Bis dahin hatten wir so viele Patienten sterben sehen.“ Dr. Georg Kippels, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages,  berichtete, allen Mitgliedern des Ausschusses sei von Anfang an klar gewesen, „jetzt geht es ums Ganze“. Die politische Arbeit sei ungewöhnlich sachbezogen und konzentriert verlaufen. Im Rückblick darauf, wie die Pandemie in Deutschland bewältigt worden sei, stellte er dennoch fest: „Beim nächsten Mal muss es deutlich besser laufen.“

Mehr Wertschätzung für die klinische Forschung!

Als eine positive Folge der Pandemie verbuchte Susanne Herold die Tatsache, dass es jetzt endlich eine anerkannte Ausbildung zum Facharzt für Infektiologie gibt. „Das ist extrem wichtig, weil die Infektionsmedizin in Zukunft eine hohe Relevanz haben wird.“ Das gelte für virale ebenso wie für bakterielle Infektionen. „Dafür können wir die infektiologische Lehre und Forschung an den Universitäten jetzt stärken.“ Wie anderen klinischen Fächern fehle aber auch der Infektionsmedizin in Deutschland eine Infrastruktur, die es erlaube, aus der Grundlagenforschung schnell in die Translation zu gehen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft schlage deshalb unter anderem vor, die Ausbildung von Clinician Scientists zu intensivieren. Als forschende Ärzte könnten sie den Anspruch der Translation gleichsam verkörpern. Im Medizinstudium sollte zudem der Mind-Set für Translation fester verankert und ein umfassenderes Wissen über die  Bedeutung klinischer Studien gelehrt werden. Die Wertschätzung für klinische Forschung müsse steigen. „Bisher ist es doch so: Der Erfolg einer klinischen Studie lässt jahrelang auf sich warten, während der Kollege im Labor in dieser Zeit drei Nature-Paper publiziert und dafür höher gerankt wird.“ Immerhin fördere das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein gutes System von Gesundheitsforschungszentren, entgegnete Klaus Cichutek. Überdies wolle das Ministerium nun wissenschaftsinitiierte klinische Studien – Investigator initiated trials (IIT) – fördern, „worin Forscher ihre Arzneimittelideen am Menschen erproben“ könnten, ohne damit gleich die Absicht einer Produktentwicklung zu verbinden. Das sei ein begrüßenswertes Novum.

Förderung für die Entwicklung von Plattform-Molekülen?

Im Hinblick auf die Aufgaben des ZEPAI, sagte Cichutek, wäre es wünschenswert, Plattformen mit Leitmolekülen gegen unterschiedlichste Viren und Virustypen aufzubauen, auf deren Basis im Ernstfall schnell spezifische Impfstoffe und Therapeutika entwickelt werden könnten. „Müsste Ihr Unternehmen dann nicht hoch ins Risiko gehen?“ fragte Moderator Jan Schweitzer Daniel Kalanovic. „Sie können ja gar nicht absehen, ob Leitmoleküle, in die Sie investieren, überhaupt jemals zur Anwendung kommen?“ Das sei der Job eines Pharma-Unternehmens, sagte Kalanovic, Pfizer habe außer dem mRNA-Impfstoff auch das Covid-19-Medikament Paxlovid in Rekordzeit über die Ziellinie gebracht. Aber natürlich sei es sinnvoll, über die finanziellen Rahmenbedingungen einer Pandemie-Krisenvorsorge nachdenken. Damit müsse sich zwar vorrangig die jetzige Regierung auseinandersetzen, meinte Georg Kippels, plädierte aber dafür, dem Thema hohe politische Aufmerksamkeit zu widmen. „Die Risiken sind beschrieben und die Politik hat den Handlungsauftrag, mit der Wirtschaft zu reden.“ Die Pharma-Industrie spiele in der politischen Diskussion immer eine ambivalente Rolle. „Entweder gilt sie als Heilsbringer, die gefördert, oder als Großverdiener, deren Gewinn abgeschöpft werden muss.“ Die Wahrheit liege dazwischen. „Und die volkswirtschaftlichen Schäden, die durch die Lock-downs entstanden sind, sind weit größer als das, was wir an Finanzen zur Verfügung stellen können.“ Er rede dabei nicht über Fördermittel aus dem Bundeshaushalt, „sondern ganz einfach von steuerlichen Möglichkeiten“.

„Das Gerangel zwischen den Ministerien muss aufhören“

 

Dennoch dürften die direkten Fördermittel nicht schlagartig versiegen, mahnte Cichutek an. „Wir haben in der Pandemie viel Geld bekommen, um unsere Systeme zu stärken. Das fällt jetzt plötzlich weg und die Europäische Zulassungsbehörde fragt mich, warum hast Du nicht genug Leute, um unsere Verfahren zu machen?“ Hier bedürfe es einer Verstetigung höherer Budgetzuflüsse, wenn eine Pandemie-Bereitschaft gewährleistet sein solle.  Dem schloss sich Susanne Herold an. „Sonst kommen wir in eine Situation, wo wir für eine während der Pandemie begonnene Studie keine weiteren Patienten mehr rekrutieren können, weil das Funding ausgelaufen ist.“ Eine Voraussetzung dafür, ausreichende Ressourcen bereitzustellen, wäre eine noch bessere Zusammenarbeit zwischen BMG und BMBF, sagte Georg Kippels. „Das Gerangel zwischen den Ministerien muss aufhören“, sagte er. „Das ist wissenschaftlich und finanziell notwendig.“ Denn die nächste Pandemie stehe bevor. „Sie noch einmal nur im Reaktionsmodus zu bewältigen, wäre der Bevölkerung nicht zu vermitteln. Die würde fragen: Habt ihr denn gar nichts gelernt?

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