Wie leistungsfähig der pharmazeutische Großhandel ist, belegen beispielhaft die Kennzahlen von Sanacorp, einem seiner großen Repräsentanten in Deutschland. Mit 3000 Mitarbeitern beliefert das genossenschaftlich organisierte Unternehmen auf rund 3000 Touren alle seine Kunden im Durchschnitt dreimal täglich mit einer Auswahl aus 140.000 Artikeln, die es bundesweit in 19 Niederlassungen auf Vorrat hält. Hohe Dynamik, Zuverlässigkeit, schnelle Lernfähigkeit und Reaktionsfreude gehörten dabei naturgemäß zum Geschäft, sagte Max Thelen, der bei Sanacorp den Bereich IT, Prozesse und Logistik leitet. Die relativ kurzfristig erfolgte Einbindung des Pharmagroßhandels in die Covid-19-Impfstoffkampagne stellte aber selbst diese außergewöhnlich belastbare Branche vor bisher ungekannte Herausforderungen, die Thelen in einem Online-Vortrag schilderte, der im Rahmen der vom House of Pharma & Healthcare und der Stiftung Arzneimittelsicherheit Beatrix und Dr. Franz Stadler angebotenen Veranstaltungsreihe zum Thema Impfstoffsicherheit stattfand. In Spitzenzeiten lieferte der Pharmagroßhandel in Deutschland 2021 mehr als zehn Millionen Impfstoffdosen pro Woche an Apotheken aus.
Ein großer Sprung in einem Monat
Am 6. April, dem Dienstag nach Ostern, begannen Sanacorp und andere Großhändler damit, zunächst den BioNTech-Impfstoff Comirnaty® an die Apotheken auszuliefern, zwei Wochen später kam AstraZenecas Vaxzevria ® hinzu, Ende Mai auch die Vakzine von Johnson & Johnson, Modernas Spikevax® nahm der Großhandel dagegen erst am 20. September in sein Sortiment. Konzipiert worden war die Impfstofflieferung an Vertrags- und Betriebsärzte über den Großhandel und die Apotheken im Februar und März mit dem Ziel, die Impfkapazitäten über die ländereigenen Impfzentren hinaus effektiv in die Fläche auszuweiten. Tatsächlich habe die Umsetzung dieses Konzeptes „einen großen Sprung“ nach vorne bedeutet, sagte Thelen, wie sich damals vor allem am steilen Anstieg der Erstimpfungen ablesen ließ: Bis einschließlich Ostermontag waren in Deutschland 10,9 Millionen Menschen mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft, vier Wochen später war diese Zahl auf 25,7 Millionen hochgeschnellt.
Deutschland sei damals Vorreiter bei der Verteilung von Covid-19-Impfstoffen über Apotheken gewesen, erinnerte Thelen. Anders als in Österreich, wo dafür besondere Schwerpunktapotheken ausgewählt wurden, sollte hierzulande jede Apotheke Impfstoffe an die Ärzte abgeben dürfen. Die Verteilung erfolgte dabei über ein Service for fee-Modell, bei dem der Bund über die ganze Lieferkette hinweg Eigentümer der Impfstoffe blieb und den jeweiligen Leistungserbringern eine mengenbezogene Vergütung zahlte. Das notwendige Impfzubehör jedoch musste vom Großhandel beschafft, mitgeliefert und zu festgelegten Sätzen abgerechnet werden.
Neuland selbst für Spezialisten
Der Pharmagroßhandel sei „eine hochspezialisierte Logistikeinrichtung“, der äußerst differenziert unter Einhaltung der guten Vertriebspraxis mit den verschiedensten Medikamenten und Heil- und Hilfsmitteln umzugehen wisse. „Wir handeln von der kleinen Schachtel Aspirin bis zum großen Karton Inkontinenzeinlagen ein relativ breites Artikelspektrum.“ Dass aber ein Präparat im Ultratiefkühlbereich von minus 75 bis 85 gelagert werden müsse wie Comirnaty® sei bisher nicht vorgekommen. Auch der Schutz vor Erschütterung sei bei diesem Impfstoff initial ein sehr sensibler Punkt gewesen. „Wir haben noch nie all unsere Fahrer so vorsichtig quasi auf Zehenspitzen gehen sehen, damit die Impfstoffe beim Verladen und Transportieren keinen Schaden nehmen.“ Schwierigkeiten ergaben sich ferner aus der Tatsache, dass die Hersteller ihre Impfstoffe in Großpackungen liefern. Ein typisches Comirnaty®-Tray etwa umfasse 195 Vials. Aufgrund der insgesamt begrenzten Impfstoffmenge konnten diese nicht einfach an die Apotheken weitergeleitet werden. Der Großhandel musste die Vials mit den Vakzinen vielmehr vereinzeln, und das in einer Zeit, in der es schlecht um die Verfügbarkeit geeigneten Verpackungsmaterials stand. „Im Lock-down war es nicht ganz einfach, so etwas Banales wie gestanzte Pappbogen zu bekommen.“ Auch Originalgebinde von Spritzen und Kanülen mussten geöffnet, vereinzelt und in liefermengengerechte Zubehörkits umgepackt werden. Bei mehreren Millionen Impfstoffdosen pro Woche eine Mammutaufgabe, ebenso wie das manuelle Ausschneiden der jeweils richtigen Zahl von Impfetiketten aus großen Bögen.
Der heikle Punkt der Regulatorik
Als nahezu ebenso komplex wie diese prozessorientierten Arbeitsschritte habe sich der bürokratische Aufwand für die Vereinzelung erwiesen. „Weil dieser Vorgang rechtlich in den Bereich der Herstellung gehört, braucht ein Großhändler dafür Ausnahmegenehmigungen, die nicht so leicht zu bekommen sind, wie man sich das vorstellt.“ Überhaupt seien Fragen der Regulatorik in Deutschland insgesamt ein heikler Punkt. Zwar lege der Bund als Eigentümer der Impfstoffe und Initiator der Kampagne die Rahmenbedingungen fest. Das allein reiche aber nicht aus, um die Verteilung der Impfstoffe zu realisieren. „Auf Basis der Allgemeinverfügung des Bundes müssen die Landes- und teilweise auch die Bezirksbehörden erst noch Sondergenehmigungen erteilen“, erklärte Thelen. „Das ist bei jeder Veränderung einer Prozessbeschreibung notwendig, also wenn sich zum Beispiel etwas ändert in den Transport- oder Auftauzeiten.“ Um diese Genehmigungen mussten Großhändler die regionalen Behörden in zum Teil sehr engen Zeitfenstern bitten und sich dabei anfangs schon mal Aussagen anhören wie „es interessiert mich nicht, ob es dazu eine Allgemeinverfügung des Bundesgesundheitsministeriums gibt“.
Konsens braucht Zeit und Kommunikation
Selbst wenn es in der Kommunikation also manchmal gehakt habe, so sei es allen Beteiligten doch gelungen, untereinander eine umfassende Transparenz über Lieferfortschritte und Lagerbestände herzustellen, wozu auch die bevorzugte Nutzung digitaler Medien und Formate beigetragen habe. Stakeholder-Management, so Max Thelen, bedeute ja vor allem, „dass Konsens Zeit braucht, und das ist bei einer großen Zahl von Prozessbeteiligten nicht immer einfach“. Insofern habe man in der Zusammenarbeit mit Herstellern, Ministerien, Behörden, Bundeswehr sowie Apothekern und Ärzten und deren Berufsverbänden „eine Menge sehr positiver Erfahrungen gemacht“. Eine echte Herausforderung für den Großhandel seien allerdings die kurzen Vorlaufzeiten bei Prozessveränderungen gewesen. Als Beispiel nannte Thelen die plötzliche Kontingentierung von Comirnaty® und das damit einhergehende Umschwenken auf Spikevax® Anfang Dezember. „Sie können sich vorstellen, was das für eine Logistikkette bedeutet, wenn zwei Impfstoffe, die ganz unterschiedlich gelagert werden müssen, sich von der einen auf die andere Woche in riesigen Mengen sprunghaft verändern“.
Ein Lob für die Belegschaft
Ein besonderes Lob zollte Max Thelen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seines Unternehmens und seiner Branche. „Es ist beeindruckend, welches Arbeitspensum sie ableisten.“ In der Bevölkerung stelle er eine größere Wertschätzung als bisher für die Leistungen des pharmazeutischen Großhandels fest. Diese Wertschätzung hat sicher mit den Erfolgen der Impfstofflogistik zu tun: Bis einschließlich der ersten Kalenderwoche des Jahres 2022 hat der pharmazeutische Großhandel in Deutschland rund 125 Millionen Covid-19-Impfstoffdosen an die Apotheken ausgeliefert.