Eine riskante Abhängigkeit von fernen Produzenten

Lieferengpässe stellen Qualität unseres Gesundheitssystems in Frage

„Wir stecken viel Geld in unser Gesundheitssystem, aber wir müssen darauf achten, dass es vernünftig ausgegeben wird“, sagte Hannelore Loskill. „Es kann doch nicht sein, dass Patienten im Krankenhaus möglicherweise daran sterben, dass es keine Medikamente gibt, weil die irgendwo in der Welt produziert werden und dann nicht nach Deutschland gelangen.“ Mit dieser Aussage bezog sich das Gründungs-und Vorstandsmitglied des Aktionsbündnisses Patientensicherheit auf die zunehmenden Lieferengpässe im Arzneimittelsektor. Diese standen im Mittelpunkt der Podiumsdiskussion über die Frage, ob Deutschland noch das beste Gesundheitssystem der Welt habe.

Reicht die Selbstverpflichtung der Industrie aus?

Während es 2013 nur für 40 Medikamente Lieferprobleme gegeben habe, sagte Moderator Jan Schweitzer, Wissenschaftsredakteur der ZEIT, sei das 2018 für insgesamt 264 Medikamente der Fall gewesen. Die Zahlen seien nicht vergleichbar, weil die Statistik heute strenger geführt werde als 2013, antwortete Michael Horn, Leiter der Abteilung Zulassung im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Zudem führe bei weitem nicht jeder Lieferengpass zu einem Versorgungsengpass, weil man meist auf Alternativen ausweichen könne. Dennoch erfülle ihn das Problem mit Sorge. Wenn zeitweilig selbst ein Schmerzmittel wie Ibuprofen in Apotheken nicht verfügbar sei, müsse man schon fragen, ob die bisher bestehende Selbstverpflichtung der Industrie, Engpässe zu melden, ausreicht. Das BfArM kümmere sich seit 2016 intensiver um das Thema, teilweise durchaus mit Erfolg, wie etwa das Beispiel des Zytostatikums Alkeran® mit dem Wirkstoff Melphalan zeige. Als der damals einzige Hersteller dieses wichtigen Krebsmedikamentes es 2015 nicht mehr habe liefern können, habe das BfArM einerseits Chargen dieses Herstellers schneller freigegeben, andererseits die Anträge anderer Hersteller auf Zulassung von Melphalan bevorzugt bearbeitet. „Seit gestern gibt es wieder einen Engpass bei Alkeran®, aber wir können mit einer gewissen Gelassenheit darauf schauen, weil wir inzwischen drei Alternativanbieter im Markt haben und nicht mehr nur einen Monopolisten.“

Gegen staatliche Arzneimitteldepots

Der Forderung des Präsidenten der Bundesärztekammer zu entsprechen, nationale Arzneimitteldepots für ausgewählte Medikamente aufzubauen, halte er angesichts von 100.000 verkehrsfähigen Arzneimitteln und 530 versorgungsrelevanter Wirkstoffe nicht für zielführend, sagte Horn. Effektiver sei es, wenn die Partner im Gesundheitswesen in ihrer Vertragsgestaltung die Versorgungssicherheit stärker berücksichtigten. Das BfArM erarbeite derzeit ein entsprechendes Dokument, das die Krankenhäuser und Krankenkassen anrege, mehr Geld für Arzneimittel auszugeben („wenn sie anfangs mehr in die Basisversorgung stecken, werden ihre Gesamtkosten geringer“) und die Pharmaindustrie auffordere, aufzuzeigen, woher sie ihre Wirkstoffe bezieht, damit nicht alle Anbieter vom selben Wirkstoffhersteller abhängig werden.

Empirisch lasse sich nicht belegen, dass es eine klare Korrelation zwischen Lieferengpässen und Rabattverträgen gebe, wehrte sich Dr. Sabine Richard, Geschäftsführerin Versorgung beim AOK-Bundesverband gegen den in der Öffentlichkeit weit verbreiteten Verdacht, die Preispolitik der Krankenkassen sei die Hauptursache temporären Arzneimittelmangels in den Apotheken. „Wir versuchen sogar, in unsere Rabattverträge Lieferverpflichtungen mit hinein zu schreiben.“ Im Gesundheitsausschuss des Bundestages sei das Thema Lieferengpässe angekommen, sagte dagegen dessen Vorsitzender Erwin Rüddel. Nach der Sommerpause werde die Intensität der Diskussion darüber zunehmen. Dabei werde man in Richtung größerer Transparenz steuern und sich auch mit der Struktur von Rabattverträgen auseinandersetzen, die zweifelsohne Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit hätten. „Mir wäre es am liebsten, wir würden Regelungen finden, die gesetzlich nicht zu stark eingreifen, sondern über Digitalisierung und Transparenz Lösungen ermöglichen.“ Zu denken wäre unter anderem an eine stärkere Berücksichtigung der Lieferfähigkeit bei Ausschreibungen oder an Anreize für Apotheken, die bei Produzenten in Europa einkaufen. Auch hier stoße man aber auf das generelle Problem, dass die Rechtsaufsicht für Bundesgesetze auch aus dem Gesundheitsministerium zum Teil bei den Ländern liege. Das bevorzuge die föderal organisierten Allgemeinen Ortskrankenkassen, was durch das Faire-Kassenwahl-Gesetz geändert werden solle.

Plädoyer für angemessene Preise

Aus dem Publikum heraus lenkte Prof. Manfred Schubert-Zsilavecz, Präsident des House of Pharma & Healthcare, die Aufmerksamkeit auf Valsartan, jenen „nicht unbedeutenden Blutdrucksenker“, der 2018 zurückgerufen werden musste, weil er in der Wirkstoffproduktion in einer chinesischen Fabrik mit einer krebserregenden Substanz verunreinigt worden war. „Die Tagestherapiekosten für dieses wichtige Medikament liegen derzeit nicht zuletzt wegen der Rabattverträge unter 10 Eurocent“, sagte Schubert-Zsilavecz. „Da stellt sich schon die Frage, ob es nicht die Arzneimittelqualität gefährdet, wenn die Preisspirale sich immer weiter nach unten dreht. Sind so geringe Therapiekosten wirklich vertretbar?“ Für die Qualität von Arzneimitteln müssten die Zulassungsbehörden und nicht die Krankenkassen garantieren, entgegnete Sabine Richard. „Wir bekommen Angebote zugelassener Arzneimittel. Wir fordern einen Preis von unter 10 Cent nicht an. Wir reagieren auf eine Preisbildung, die im Wettbewerb entsteht.“ Es liege in der Verantwortung der pharmazeutischen Unternehmen, ihre globalen Produktionsbedingungen und Lieferketten so zu kontrollieren, dass die Arzneimittelsicherheit gewährleistet sei. „Wir Kassen am Ende der Kette können das nicht tun.“ An diesem Ende stünden ja wohl immer noch die Patienten, gab Hannelore Loskill zu bedenken. „Die müssen sich darauf verlassen können, dass sowohl die Hersteller als auch die Kassen ihren Pflichten nachkommen.“ Michael Horn plädierte abschließend dafür, gemeinsam nach konstruktiven Lösungen zu suchen, statt mit dem Finger aufeinander zu zeigen. Wenn nämlich ein Hersteller wie bei Valsartan aus welchen Gründen auch immer nicht mehr lieferfähig sei und dieser Ausfall 40 bis 50 Prozent des Weltmarkts betreffe, dann habe das natürlich vor allem mit Preispolitik zu tun. „Wenn keine angemessenen Preise bezahlt werden oder wenn keine Anreize geschaffen werden, auf einen Hersteller auszuweichen, der nicht so billig produziert, dann wird sich die Situation immer mehr verdichten und es für manche Medikamente immer weniger Produzenten und Anbieter geben.“ Das schaffe Abhängigkeiten, die angesichts der gegenwärtigen weltpolitischen Lage mit einem drohenden Handelskrieg gefährlich seien. „Ich möchte nicht erleben, dass aus China oder Indien dann mal die Wirkstoffproduktion gekappt wird und Europa deshalb ohne lebenswichtige Arzneimittel ist.“

Zurück