E-Health braucht die elektronische Akte

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Jahrestagung des House of Pharma beleuchtet ein deutsches Defizit

„Die Leidensgeschichte der elektronischen Gesundheitskarte in Deutschland“ sei Besorgnis erregend, sagte Dr. Christoph Franz, Präsident des Verwaltungsrates der Roche Holding AG, bei der 6. Jahrestagung des House of Pharma & Healthcare. Wenn es nicht gelinge, über diese Hürde hinwegzukommen, dann werde Deutschland in einem Kernbereich künftiger E-Health keine globale Relevanz mehr haben. Die Gesundheitspolitik sei deshalb dringend gefordert, gleichzeitig einen leistungsfähigen Schutz der Privatsphäre zu gewährleisten und den großen Schatz krankheitsbezogener Daten für die „Volksgesundheit im besten Sinne, auch für die Prävention“ nicht ungenutzt zu lassen. Dieses von Christoph Franz am Vormittag angeschnittene Thema dominierte auch die nachmittägliche Podiumsdiskussion, die sich mit den Folgen der digitalen Revolution für die Patienten befasste.

Österreich ist schon viel weiter

„E-Health wird die Qualität des Gesundheitswesens wesentlich steigern und es effizienter machen“, sagte voll Zuversicht Prof. Karl Peter Pfeiffer, der Leiter des Arbeitskreises „Nationale E-Health-Strategie“ in Österreich. Dort habe die Einführung der elektronischen Gesundheitsakte ELGA vor zwei Jahren begonnen. Nur drei Prozent der Österreicher hätten sich gegen eine persönliche ELGA entschieden. Für alle anderen wird ELGA Schritt für Schritt ihre Befunde aus allen Gesundheitseinrichtungen vernetzen und zugänglich machen. Außer dem Patienten darf nur derjenige Arzt oder Gesundheitsdienstleister auf dessen ELGA zugreifen, der diesen gerade behandelt. ELGA erleichtert Diagnose und Therapie, spart Zeit und vermeidet Doppeluntersuchungen. Jeder Patient kann damit seine Krankengeschichte selbst verwalten und seine Medikation kontrollieren. Bereits vor 20 Jahren habe man in Österreich begonnen, Sicherheitsstandards für die digitale Übermittlung von Gesundheitsdaten zu erarbeiten, und schon seit 2007 mit einer 100-köpfigen Gruppe von Stakeholdern eine E-Health-Strategie entwickelt, in deren Rahmen man die Entscheidungsträger der Politik von ELGA überzeugt habe.

„Wir kämpfen noch mit den Erwartungen, die die elektronische Versichertenkarte in uns geweckt hatte“, entgegnete ernüchtert Hannelore Loskill, die als Bundesvorsitzende der BAG Selbsthilfe die Interessen chronisch kranker Patienten vertritt. Dass man darauf zumindest seine Arzneimitteldokumentation hinterlegen könne, sei damals angekündigt worden. Geschehen sei aber nichts. Ja selbst die wenigen Daten, die auf der neuen Chipkarte gespeichert sind, seien für die Patienten nicht einsehbar. „Das zeigt, wie weit wir noch von dem entfernt sind, was uns versprochen wurde.“

„Bei uns kann sich jeder Patient seine eigene Gesundheitsakte anlegen und seine Daten in verschlüsselter Form mit seinen Ärzten teilen“, warb Chris-Gilbert König, geschäftsführender Gesellschafter der Healthcare X.0 GmbH, für die Health Assist-App seines Unternehmens. Das sorge für eine einheitliche Dokumentation mit weniger Papierkram und mehr Zeit für die Arzt-Patienten-Kommunikation. Um diese Vision eines „gläsernen Patienten“ zu realisieren, sei es unabdingbar, der informationellen Selbstbestimmung des Patienten Priorität einzuräumen und seine Daten sicher abzulegen. „Wir betreiben dafür zwei spezielle TÜV-zertifizierte Rechenzentren.“ Jeder Patient müsse zum Beispiel entscheiden können, ob er seine Daten zu Forschungszwecken an die Pharmaindustrie weitergeben wolle.

Patienten könnten aktiv zur Innovation beitragen

„Wir brauchen keinen individuellen Daten“, sagte stellvertretend für die Industrie Dr. Lars Greiffenberg, der bei Abbvie Deutschland für die translationale Informatik in Forschung und Entwicklung verantwortlich zeichnet. „Was wir brauchen, sind aggregierte Datensätze, aus denen wir statistische Aussagen ableiten können, die uns dabei helfen, die Entstehung von Krankheiten zu verstehen, neue Medikamente zu entwickeln, klinische Studien zu optimieren und Nebenwirkungen deutlich schneller zu identifizieren.“ In diesem Sinne könnten Patienten über ihre elektronische Akte ihre Rolle als „reine Konsumenten“ des Gesundheitssystems erweitern und durch Freigabe ihrer Daten aktiv zur medizinischen Innovation beitragen. Im Gegensatz zu anderen Ländern werde aber Gesundheit in Deutschland zu wenig als Gemeinschaftsaufgabe betrachtet.

Dass die Informationstechnologie Leben retten könne, wie Karl Peter Pfeiffer betonte, darin waren sich alle Diskutierenden einig. Dabei streiften sie auch das Potenzial künstlicher Intelligenz. „Macht künstliche Intelligenz unsere Medizin menschlicher?“ wollte Chris-Gilbert König vom Auditorium wissen und bat um zustimmende Handzeichen, die freilich weitgehend ausblieben. Er selbst meine „Ja“, sagte König. „Indem sie nämlich den Arzt bei seinen Therapieentscheidungen unterstützt, gibt sie ihm mehr Zeit, sich um seine Patienten zu kümmern.“ Sie wünsche sich, dass solche Apps, wie sie Herr König anbiete, keine Insellösung blieben, resümierte Hannelore Loskill. Sie frage sich, warum nicht endlich all diese kleinen Inseln zusammengefasst würden, wie das in Österreich geschehen sei: „Es muss doch möglich sein, dass nicht nur über künstliche Intelligenz geredet wird, sondern auch richtige Menschen mal intelligent zusammenarbeiten.“

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