Die aktuellen Felder der bundesdeutschen Arzneimittelpolitik

Keynote des zuständigen Abteilungsleiters im Bundesgesundheitsministerium

Vier große Themenfelder bestimmen die Tagesordnung der bundesdeutschen Arzneimittelpolitik, wie Thomas Müller, Leiter der Abteilung für Arzneimittel, Medizinprodukte und Biotechnologie im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), in seiner Keynote ausführte: Die Folgen der Globalisierung, die Chancen der Digitalisierung, die Ausgestaltung personalisierter Therapien und das Bemühen, Arzneimittelinnovation sowohl für deren Urheber attraktiv als auch für alle Patienten zugänglich zu machen.

Arzneimittelversorgung strategisch verbessern

Als Folge der Globalisierung habe man in den vergangenen Jahren „schmerzlich feststellen“ müssen, dass Deutschland nicht mehr „unbedingt ein Top-Markt für Arzneimittel“ sei. Infolge des Preisdrucks, den große Märkte in Asien, Südamerika und auch Afrika ausübten, finde besonders bei generischen Arzneimitteln, aber auch bei Impfstoffen und Plasmaprodukten, eine Konzentration der Wirkstoffherstellung in außereuropäischen Ländern statt. Das schaffe bedenkliche Abhängigkeiten, aus denen Lieferengpässe resultierten. Dem wolle das BMG durch Maßnahmen zur Förderung der Transparenz und der Anbietervielfalt entgegensteuern. Die Hersteller müssten offenlegen, woher sie ihre Wirkstoffe beziehen, die Krankenkassen beim Abschluss von Rabattverträgen darauf achten, „dass sie eine Vielfalt von Produktionsstätten sicherstellen“. Das BMG wolle allerdings nicht auf restriktive Maßnahmen setzen, sondern vielmehr die Eigeninitiative der Unternehmen fördern. Im Zuge der deutschen EU-Ratspräsidentschaft werde man 2020 deutlich auf die „strategische Bedeutung der Arzneimittelversorgung für Europa“ hinweisen und beraten, wie man die Abhängigkeit Europas von der Produktion in Drittstaaten abmildern könne.

Digitalen Rückstand aufholen

Mit großer politischer Energie betonte Thomas Müller, werde sich das BMG „um das elektronische Rezept kümmern“, um den Rückstand aufzuholen, den Deutschland in der Digitalisierung der Medikation und Arzneimitteldisposition habe. Dabei werde das BMG dafür sorgen, dass den Patienten keine Nachteile entstünden, indem „irgendeine Plattform entscheidet, wer welches Medikament bekommt“. Die Eigenverantwortung jedes Patienten werde erhalten bleiben. Ein vordringliches Anliegen des Ministeriums sei es weiterhin, medizinische Apps schneller in das Gesundheitssystem zu bringen. Weil diese eine eigene Kategorie darstellten, sei es gerechtfertigt, „weder den Weg der Methodenbewertung im Bundesausschuss noch den Weg einer klassischen Arzneimittelzulassung zu gehen“. Vielmehr habe das BMG sich für ein „Fast-Track-System“ im Bundesinstitut Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) entschieden. Dadurch werde auch die digitale Kompetenz des BfArM gestärkt, was notwendig sei, denn „wir müssen uns in der Regulatorik von Arzneimitteln digital weiterentwickeln“. Ihm persönlich, so Müller, sei es diesbezüglich besonders wichtig, interaktive Beipackzettel zu entwickeln.

Gentherapien und Genomforschung vorantreiben

Das Potential von Gentherapien bestmöglich auszuschöpfen und deren Entwicklung sorgfältig voranzutreiben, ist eine Aufgabe, der sich das BMG mit Leidenschaft widmet. „Die visionäre Energie der Gentherapien ist so stark, dass sich im Ministerium sogar die Nicht-Fachleute auf der politischen Ebene inzwischen alle damit auskennen.“ Es komme darauf an, die Risiken der neuen Therapien genau zu beobachten, ohne deren Fortschritt zu hemmen. Deshalb habe man Meldepflichten für Krankenhäuser eingeführt, verzichte aber auf Genehmigungspflichten. Der gemeinsame Bundesausschuss habe aber die Befugnis, Gentherapien an bestimmten Kliniken zu zentralisieren, um dort die entsprechende Kompetenz zu bündeln. Insgesamt sei personalisierte Medizin aber viel mehr als Gentherapie, sagte Müller. „Wir müssen uns auch um Genomdaten kümmern und uns dabei europäisch positionieren.“ Geplant sei, in Deutschland das Datenbankprojekt genom.de zu starten, um Genomdaten zu sammeln, sie mit klinischen Daten zu verknüpfen und der Forschung zur Verfügung zu stellen.

Innovation fördern und zugänglich machen

„Wir glauben nicht an Staatsforschung“, betonte Thomas Müller. „Wir wollen, dass Pharma eine attraktive Industrie ist und die kreativen und fähigen Wissenschaftler nicht alle in die IT gehen.“ Pharmazeutische Innovation müsse deshalb incentiviert werden und finanziell lohnend sein. „Wenn Innovationen aber Geld kosten sollen und der Support für diese Produkte in der EU Bestand haben soll“, unterstrich Müller, „dann müssen diese Produkte in verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Gesundheitsbudgets auch bei allen Patienten ankommen.“ Leider sei das immer häufiger nicht der Fall, insbesondere teure Orphan drugs erreichten bestimmte süd- und osteuropäische Märkte nicht mehr, auch wegen des Parallelhandels. Wenn sich das nicht ändere, drohten dort populistische Lösungen wie billige Staatspreise, die freilich Innovation für kommende Patientengenerationen bremsen würden. „Das wollen wir vermeiden.“

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