Deutschland bleibt Zugpferd der Innovation

BMG-Abteilungsleiter Thomas Müller bezieht Position beim Hauptstadt Summit

Wenn die pharmazeutische Industrie angesichts des jüngst vom Bundestag verabschiedeten GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes klage, dass patentgeschützte Innovation sich nicht mehr lohne, leiste sie „noch ein bisschen Trauerarbeit“, sagte Thomas Müller. Unter Anpassungsschmerzen werde sich das neue Gesetz aber etablieren. „Ich bin überzeugt, dass Deutschland in Europa und auch global das Zugpferd für einen attraktiven Marktzugang und für einen attraktiven Rahmen für innovative Produkte bleiben wird“, sagte der Leiter der Abteilung Arzneimittel, Medizinprodukte, Biotechnologie im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) beim Hauptstadt Summit des House of Pharma und Health Care in der Hessischen Landesvertretung in Berlin.

 

Zwei ungesunde Extreme

„Wir waren getrieben vom Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung und haben das dadurch kurzfristig notwendige Gesetz mit einer Strukturreform des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes verbunden, die Minister Lauterbach schon lange vorgedacht hatte.“ Nach elf Jahren AMNOG halte er eine solche Reform für „gut vertretbar“, sie werde Deutschland nicht zu einer „Innovationswüste“ machen. Das BMG will nach Müllers Worten große Innovationen mit nach oben offenen Preisen stärken, kleine Innovationen aber mit einem Preisanker versehen, der sich aus der Nutzenrelation zu vergleichbaren Vorgängerpräparaten ergebe. Im Kern geht es dem BMG darum, dem zunehmenden Ungleichgewicht zwischen dem patentgeschützten und dem generischen Arzneimittelmarkt zu begegnen. „Beide Bereiche haben sich in ungesunde Extreme entwickelt“, sagte Müller. „Bei Patentneueinführungen schießt der Preis sehr stark nach oben, auf der anderen Seite haben wir für den Generika-Bereich sehr mächtige Preisinstrumente.“

 

Blick auf das größere Bild

Man müsse in der gegenwärtigen Diskussion, sagte Müller, das größere Bild sehen: Das AMNOG und die Rabattverträge seien der Ersatz für einen sich nicht sich selbst regulierenden Markt. Im Arzneimittelbereich gebe es eben keine Kunden, die in ihr Portemonnaie schauten, um zu entscheiden, was sie sich leisten können oder wollen. Müller wies darauf hin, dass das BMG in einem zweiten Reformschritt – Stichwort Lieferengpassgesetz – die Bedingungen für Generika anpassen werde. Seien doch während der Pandemie vor allem zwei Erkenntnisse gewonnen worden. Erstens: Wir brauchen die Innovation. Zweitens: Das Rückgrat der Versorgung sind die Generika. „Es waren Generika wie Midazolam und Propofol, die in der ersten Zeit der Pandemie, als die Kliniken voll waren, fehlten.“ Die Abhängigkeiten von asiatischen Wirkstoffproduzenten könnten aber überwunden werden, wenn die EU Standortfaktoren in ihr Vergaberecht einbringe.

 

Aus Differenzen lernen

Um Innovationen zu fördern, Versorgungsengpässe zu vermeiden und auf neue Gesundheitsgefahren zu reagieren, sind beschleunigte und entschlackte Prozesse erforderlich. „Wir haben in der Pandemie gezeigt, dass das geht.“ Die supranationale Zusammenarbeit bei der Impfstoffbeschaffung habe die europäische Gesundheitspolitik deutlich gestärkt. „Wir kennen uns persönlich besser und können ganz anders zusammenarbeiten.“ Der Vorteil der EU-Länder sei ihre Differenz, betonte Müller.  Dadurch lerne man voneinander und setze Benchmarks, an denen man wechselseitig wachse. So könne Deutschland sich derzeit beispielsweise in Sachen klinische Studien den Pragmatismus Spaniens, in Sachen digitaler Nutzung von Gesundheitsdaten Dänemark zum Vorbild nehmen. „Mentalitätsunterschiede lassen sich aber nicht so leicht ändern. Die Dänen haben einfach das Vertrauen, dass ihr Staat mit diesen Daten etwas Sinnvolles macht. Dieses Vertrauen fehlt in Deutschland an vielen Stellen.“

 

Forschende Industrie als Standortfaktor

Die Diskussion über die Preise von Arzneimitteln begleite ihn als Arzt und Beamter seit jeher und werde nicht aufhören, sagte Müller. „Die Industrie hat einfach ein anderes Interesse als der Kunde.“ Deren Innovationsfähigkeit dürfe aber auch nicht ausgebremst werden. Mit Sorge erfüllt ihn deshalb, dass es nach dem Brexit noch weniger EU-Länder gibt, die eine eigene forschende Pharmaindustrie haben, also um deren volkswirtschaftlichen Nutzen wissen und an deren Wertschöpfung interessiert sind. „Wir haben in der EU eine zunehmend kritische Diskussion, dass die Arzneimittelpreise zu hoch sind und den Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung einschränken.“ Es gebe Länder, die nicht bereit seien, mehr Geld für Arzneimittelinnovation zu bezahlen. Für die deutsche Gesundheitspolitik gelte es, diese Herausforderung für den Pharmastandort Deutschland auf europäischer Ebene zu meistern.

Copy-Right Fotos: Johannes Walther

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