Zell- & Gentherapeutika - eine finanzielle Herausforderung für das Gesundheitssystem?

Evidenznachweis ist ein Schlüssel zur Finanzierbarkeit neuer Gen- und Zelltherapien

Krebs mit Hilfe genetisch veränderter körpereigener Zellen gezielt zu bekämpfen oder gar zu heilen – die Erfüllung dieses Menschheitstraums scheint in greifbare Nähe gerückt zu sein, seitdem die amerikanische Food and Drug Administration im August 2017 mit Tisagenlecleucel die erste Gentherapie gegen Krebs zuließ. Kurz darauf folgte die Zulassung für Axicabtagen-Cilocleucel. Es handelt sich um Therapien mit sogenannten CAR-T-Zellen (chimeric antigen receptor T-cells), die für jeden Patienten maßgefertigt werden. Ihm werden T-Zellen seines Immunsystems entnommen und außerhalb des Körpers so verändert, dass sie nach Re-Infusion bestimmte Tumorzellen gezielt erkennen und ausschalten können. Schlagzeilen machte insbesondere der Fall der sechsjährigen Emily Whitehead, die als todgeweiht galt. Sie litt an einer Leukämie, gegen die alle herkömmlichen Medikamente versagt hatten, bevor sie mit Hilfe ihrer genetisch veränderten T-Zellen wieder gesund wurde. Eine solche Behandlung kostet derzeit rund 400.000 US-Dollar.

CAR-T-Zellen helfen bisher nur einer winzigen Minderheit

Wie viel Hoffnung darf man auf diese neue Form der personalisierten Medizin setzen? Und wäre sie überhaupt finanzierbar, wenn sie eines Tages eine etablierte Therapieform würde? Darüber diskutierte Jan Schweitzer, Wissenschaftsredakteur der ZEIT, beim Hauptstadtsummit des House of Pharma & Healthcare mit vier namhaften Experten. Weltweit liefen derzeit zwar 400 klinische Studien mit Car-T-Zelltherapien, sagte Prof. Ulrike Köhl, Direktorin des Instituts für klinische Immunologie am Universitätsklinikum Leipzig sowie des dortigen Fraunhofer IZI, die die Zulassungsstudie für Tisagenlecleucel in Deutschland leitete. Bisher zeigten diese Therapien aber nur gegen ganz bestimmte Formen der Leukämie große Erfolge. „Das ist eine kleine Minderheit aller Krebserkrankungen. Wir stehen nun vor der Herausforderung, diese Erfolge auf die Behandlung hochaggressiver Tumore in Brust, Darm oder Prostata zu übertragen.“ Sollte das gelingen, dann müsse das Gesundheitssystem erhebliche Kosten schultern.

Er sei davon überzeugt, dass das deutsche Gesundheitssystem diese Herausforderung meistern werde, sagte Dr. Peter-Andreas Löschmann, Geschäftsführer und Direktor Medizin der Pfizer Pharma GmbH. „Ich fühle mich hinsichtlich der heutigen Kosten dieser Therapien an die Zeit vor 20 Jahren erinnert, als wir die ersten Biologika entwickelten. Der erste TNF-alpha-Inhibitor zum Beispiel war unglaublich teuer. Heute stellt er finanziell gar kein Problem mehr dar.“ Dem pflichtete Prof. Klaus H. Nagels bei, der an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl für Medizinmanagement und Versorgungsforschung innehat. „Es wird Skaleneffekte geben. Im Moment werden mit Car-T-Zelltherapien eher Ultra-Orphan-Populationen behandelt. Aber wir müssen aufpassen, dass diese Therapieform durch den gegenwärtigen Hype nicht inflationär in die Breite geht, bevor wir genügend Evidenz für ihre Sicherheit und Wirksamkeit generiert haben.“

Stammzelltherapien als Erfolgsbeispiel – und Mahnung

Ulrike Köhl wies darauf hin, dass die Medizin schon seit Jahrzehnten große Erfolge mit Stammzell-Transplantationen aus dem Knochenmark verzeichne. „Mehr als eine Million weltweit durchgeführte Stammzelltherapien sind das beste Beispiel für eine Zelltherapie, die die Patienten weitergebracht hat.“ Man dürfe auch hinsichtlich der Evidenz der CAR-T-Zelltherapien zuversichtlich sein. Diesen Ball nahm Prof. Christoph Straub auf, der Vorstandsvorsitzende der BARMER, gab ihm aber ein anderes Effet. Als die Stammzelltransplantation aufkam, habe er einst beim Verband der Krankenkassen die Anträge von Kliniken auf Genehmigung solcher Therapien geprüft. „Von 120 Kliniken, die die Erlaubnis beantragten, Stammzelltransplantationen vorzunehmen, waren damals bestenfalls ein Dutzend dafür geeignet. Man wusste ja noch gar nicht richtig, wie das funktioniert.“ Ähnliches erlebe er jetzt bei den CAR-T-Therapien, die mit erheblichen Risiken verbunden seien. Die Patienten seien immerhin schwerstkrank und lägen überwiegend auf der Intensivstation. „Stand heute haben 120 Kliniken in Deutschland den Antrag gestellt, mit CAR-T-Zellen behandeln zu dürfen, und da frage ich mich: Wer von uns Insidern würde sich freiwillig in irgendeine Klinik legen, die damit noch keine Erfahrung hat?“ Den Krankenkassen komme in dieser Situation die Rolle zu, die Qualität und Sicherheit der Versorgung mit zell- und gentherapeutischen Interventionen zu kontrollieren. „Wir wollen, dass diese Therapien kommen und wollen sie auch bezahlen“, betonte Straub. „Aber sie müssen an Standorten konzentriert werden, die eine ausreichende Ausstattung und Kompetenz dafür haben.“

Diese Zentren müssten nicht nur über hervorragende Mediziner, sondern auch über trainierte Pflegekräfte verfügen, ergänzte Ulrike Köhl, sowie über Personal, das qualifiziert sei, CAR-T-Zellen im Reinraum herzustellen. „Bei mir arbeiten allein daran 130 Leute.“ Sowohl um der Sicherheit als auch um der Finanzierbarkeit willen sei es dringend geboten, diesen mehrstufigen Herstellungsprozess zu automatisieren, indem man in die Zusammenarbeit von Medizin und Ingenieurtechnik investiere. Denn darin liege derzeit „ein totales bottleneck“.

Das etablierte Evidenz-Modell vor dem Aus?

Darüber zu entscheiden, wie viel Geld diese Gesellschaft für die Krankenversorgung auszugeben bereit ist, sei nicht seine Aufgabe, sondern die der Politik, sagte Christoph Straub. „Es ist aber unsere Aufgabe, verantwortungsvoll mit den Mitteln umzugehen, die wir haben.“ Deshalb gelte: Je teurer die Therapie, desto wichtiger, dass sie richtig und für die richtigen Patienten eingesetzt wird. Herauszufinden, was richtig ist, sei aber zunehmend schwierig, weil neue Therapien „für immer spezifischere, kleinere Patientengruppen entwickelt und dann häufig schon nach wenigen Jahren durch noch innovativere Alternativen abgelöst werden“. Angesichts dieser fortschreitenden Aufspaltung in Subgruppen werde das etablierte Modell des Evidenznachweises in doppelblinden, prospektiven, randomisierten Studien allmählich obsolet. „Wir brauchen deshalb eine Evidenzgenerierung während des Einsatzes einer neuen Therapie“, sagte Straub. Sonst sei zu befürchten, dass teure Therapien Kosten verursachten, die im Rahmen des Risikostrukturausgleichs nicht erstattet würden, was letztlich zum System einer staatlichen Preisfindung führen könnte.

Man dürfe nicht übersehen, wandte Ulrike Köhl ein, dass bei kindlicher Leukämie nach derzeitigem Kenntnisstand eine einmalige CAR-T-Zellgabe ausreiche, die wiederum eine Stammzelltherapie überflüssig mache, deren Kosten auch im niedrigen sechsstelligen Bereich lägen. Sie plädierte dafür, dass jeder Patient ein Recht auf „sein Produkt“ haben müsse, unabhängig davon, was es koste. „Meine Sorge ist es, dass wir ohne ein entsprechendes Finanzierungskonzept dastehen, wenn die Zahl der Patienten, denen Zell- und Gentherapien helfen könnten, um einige Zehnerpotenzen gestiegen ist.“ Wenn man künftig schon das Entstehen eines Tumors diagnostisch entdecken und bestimmte Krebsarten vielleicht sogar heilen könne, sagte Klaus Nagels, würde das „enorme Einsparungen“ mit sich bringen. Peter-Andreas Löschmann forderte die Politik auf, einen umfassenden Rahmenplan dafür zu erarbeiten, wie man den Patienten lebensrettende Therapien zugänglich machen könne, ohne das Arzneimittelbudget zu sprengen. Ein Teil dieses Planes sollte es sein, „die parallele Entwicklung von Diagnostika und Pharmazeutika angemessen“ zu honorieren. „Da lässt sich viel optimieren“."

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