Preis darf nicht das einzige Kriterium bei Rabattverträgen sein

Diskussion über Lieferengpässe mit Europa-Chef von STADA

Lebhafter verlief im House of Pharma and Healthcare schon lange kein Perspektivengespräch mehr. Die Diskussion mit dem Referenten Dr. Stephan Eder, Europa-Chef von STADA, dauerte länger als dessen Vortrag über die Frage, wie angesichts zunehmender Lieferengpässe eine sichere und stabile Arzneimittelversorgung in Deutschland wiederhergestellt werden könne. Ein Beleg dafür, wie stark das Thema dem Publikum unter den Nägeln brannte und wie sehr die andauernden Schwierigkeiten in der Versorgung mit grundlegend notwendigen Arzneimitteln das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems erschüttert haben.

Die Geringschätzung der Generika rächt sich

Bevor er solche Ansätze vorstellte, skizzierte Stephan Eder das Grundproblem der Lieferengpässe mit Fokus auf generische Medikamente, zu deren bedeutendsten deutschen Herstellern sein Unternehmen gehört. Generika – also patentfreie Medikamente – machen demnach 79,1 Prozent der Verordnungen aus, jedoch nur knapp sieben Prozent der Arzneimittel-Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). Für jede bei ihnen versicherte Person bringt die GKV demnach jährlich gerade einmal 28 Euro für deren Generikabedarf auf. Das reiche umgerechnet für sechs Big Macs, sagte Eder. Diese geringe Summe erklärt sich zu einem Großteil aus Rabattverträgen, um die die Hersteller von Generika in Ausschreibungen der Krankenkassen konkurrieren. 

Der heftige Wettbewerb um den Gewinn solcher Ausschreibungen hat nach Angaben von Eder im vergangenen Jahrzehnt zu einem zunehmenden Preisverfall generischer Medikamente geführt. 2021 lagen die durchschnittlichen Tagestherapiekosten über alle Medikamente hinweg nur noch bei sechs Eurocent, zehn Jahre zuvor waren es noch elf Eurocent gewesen. Angesichts solcher Preise sei eine wettbewerbsfähige Produktion der Wirkstoffe von Generika in Europa kaum möglich. Mehr als 90 Prozent der Wirkstoffe für den deutschen Markt würden deshalb von Fabriken in China und Indien produziert – eine fatale Abhängigkeit, wenn dabei Monopolproduzenten entstehen, deren Lieferung plötzlich ausfallen könne, wie es vor einigen Jahren beim Blutdrucksenker Valsartan geschehen sei.

Vorschläge der Politik greifen zu kurz

Die Politik habe dieses Problem erkannt, betonte Eder. So habe Gesundheitsminister Lauterbach auf dem Gipfel der Versorgungskrise mit fiebersenkenden Mitteln für Kinder im vergangenen November gesagt: „Es kann nicht sein, dass wir versuchen, bei den Wirkstoffen zum Teil ein paar Cent zu sparen, riskieren dann aber dafür die Versorgung der Bevölkerung.“ Das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG), das Lauterbach zur Lösung dieses Problems auf den Weg gebracht habe, greife aber zu kurz. Denn es sei sehr kurzfristig gedacht und sehe preisliche Anpassungen nur für Kinderarzneimittel und jene Wirkstoffe vor, die schon heute versorgungskritisch seien. „Das ist nur etwa ein Prozent der gesamten generischen Medikamente.“ Widersinnig sei es zudem, wenn das ALBVVG die Hersteller strafbewehrt zu einer Bevorratung verpflichten wolle. „Jeder Hersteller hat typischerweise für drei Monate Vorrat. Ihn mit einer Pönalzahlung zu belegen, wenn sich dieser Bestand ohne sein Zutun plötzlich reduziert, weil es irgendwo in der eigenen oder fremden Lieferkette knirscht, würde die generische Industrie unattraktiver machen und nicht zu einer Anbieterausweitung führen.“

Gegen das Winner-Takes-It-All-Prinzip

Aus Sicht eines Unternehmens wie STADA sei es wünschenswert, höhere Preise und Inflationsausgleiche für alle Generika zu gewähren. „Vor allem aber geht es darum, langfristig eine Anbietervielfalt von Wirkstoffproduzenten wiederherzustellen.“ Für Rabattverträge müsse es deshalb in Zukunft verpflichtend Ausschreibungen geben, bei denen mehrere Hersteller zum Zuge kommen könnten und nicht nur der Preis, sondern auch die Diversität der angebotenen Lieferketten als Kriterium berücksichtigt würden. „Der Winner-Takes-It-All-Einmal-Vertrag heizt den Preiswettbewerb immer weiter an.“ Für Arzneimittel, bei denen nicht nur Liefer- sondern auch Versorgungsengpässe auftreten, sei ein Aussetzen von Rabattverträgen für einen Zeitraum von fünf Jahren dringend empfehlenswert.

Den Bogen überspannt

Warum denn die Versorgungsprobleme hierzulande besonders groß seien, wenn der Preiswettbewerb bei generischen Arzneimitteln weltweit zum Alltag gehöre, wurde Eder gefragt.  „Das Grundprinzip des generischen Wettbewerbs ist in allen Ländern ähnlich“, antwortete er. „Die spezifischen kostendeckenden Instrumentarien sind aber sehr unterschiedlich, und sie sind in Deutschland besonders aggressiv.“ Deutschland habe den Bogen überspannt. Das falle deshalb stark ins Gewicht, weil Deutschland einen sehr großen Arzneimittelmarkt darstelle. „Wenn große Länder solche Maßnahmen setzen, wird das System in seinen Grundfesten erschüttert.“

KI für bessere Transparenz?

Ob er denn guten Gewissens sagen könne, alle Lieferketten seines Unternehmens „von der Ursuppe bis zum Markt in voller Transparenz zu überblicken“, fragte ein Betriebswirt. „Bei der Größe unseres Portfolios und der Vielschichtigkeit der Lieferketten kann immer wieder mal was passieren“, entgegnete Eder. Volle Transparenz sei kaum möglich. Jeder Hersteller müsse im andauernden Zielkonflikt zwischen niedrigen Kosten und hoher Versorgungssicherheit stets aufs Neue eine Balance finden. Wie es denn um Frühwarnsysteme mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) bestellt sei, fragte ein IT-Spezialist. „Jeder Hersteller arbeitet daran, anhand der Analyse von Daten möglichst früh vorhersagen zu können, wo und wann Lieferketten reißen könnten“, sagte Eder. Ausgereift seien diese Systeme aber noch längst nicht. Das liege auch daran, ergänzte ein Gesprächsteilnehmer, dass die Daten, auf denen KI maschinell lerne, Ereignisse aus der Vergangenheit abbildeten, aus denen sich nicht ohne weiteres auf zukünftige Ereignisse schließen lasse.

Selbsthilfe ist auch keine Lösung

„Wir haben doch gut ausgebildete Apotheker“, sagte ein Pharmazeut aus dem Publikum. „Wäre es nicht ein Lösungsansatz, wenn die den Fiebersaft wieder im eigenen Labor herstellten?“ Abgesehen davon, dass dies derzeit notgedrungen gelebte Praxis in Deutschlands Apotheken sei, antwortete ein Kollege, sei auch dieser Notbehelf von der Verfügbarkeit von Wirkstoffen abhängig. „Wir haben, als es losging im Herbst, noch jeweils 10 Kilogramm Ibuprofen und Paracetamol eingekauft, aber irgendwann ist das auch zu Ende.“

Die Globalisierung lässt sich nicht zurückdrehen

„Muss es dann nicht eine Strategie sein, die Grundstoffherstellung wieder ganz zurück nach Europa zu holen?“ Diese Frage beantwortete Stephan Eder mit einem klaren Nein. „Dazu werden wir niemals in der Lage sein, ebensowenig wie beispielsweise die Automobilindustrie beim Bezug ihrer Bauteile. Die pharmazeutische Industrie wird die Globalisierung und deren Arbeitsteilung nicht isoliert zurückdrehen können.“ Relevant für die Sicherheit der Arzneimittelversorgung sei nicht, wo ein Wirkstoff hergestellt werde, sondern dass er in ausreichender Menge aus vielerlei Quellen bezogen werden könne. Zu diesen Quellen könnten durchaus einige europäische Standorte zählen. Folglich müsse es vor allem darum gehen, die Geringschätzung des Wertes von Generika zu überwinden und langfristig wirksame Anreize zu schaffen, die die Anbietervielfalt und die Redundanz von Lieferketten nachhaltig fördern. Das werde sich freilich nicht von heute auf morgen erreichen lassen. „Dafür braucht es eine konzertierte Anstrengung, die uns über Jahre hinweg beschäftigen wird.“

 

Fotos: Hans-Jürgen Herrmann

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