Genomeditierung am Menschen zwischen Therapie, Prävention und Enhancement
Die 2012 bei der Erforschung eines bakteriellen Immunsystems entdeckte Genschere CRISPR-Cas ist ein genetisches Universalwerkzeug, mit dessen Hilfe sich die Erbinformation aller Lebewesen prinzipiell präzise verändern lässt. An die dadurch mögliche Genomeditierung knüpft sich deshalb die Hoffnung auf die Heilung bisher unheilbarer Krankheiten. Ob sich diese Hoffnung erfüllen wird, sei allerdings noch offen, betonte Prof. Christiane Woopen beim Perspektivengespräch des House of Pharma & Healthcare. Sie verwies dabei sowohl auf den erst frühen Stand der klinischen Forschung auf diesem Gebiet als auch auf eventuelle immunologische und kanzerogene Nebenwirkungen. Weil die Crispr-Cas-Technik so einfach anzuwenden sei, dass sie sich sogar mit preiswerten Heimbaukästen realisieren lasse, bedürfe sie klarer gesetzlicher Sicherheitsregeln. „Wir können nicht davon ausgehen, dass alle es gut meinen, und wunderbare Zwecke für die Menschheit verfolgen“. Keinesfalls aber dürfe sich die Chancen-Risiko-Diskussion über die Genomeditierung auf Sicherheitsfragen beschränken, sagte die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates und Direktorin des Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health. Weil man mit CRISPR-Cas nämlich nicht nur Körperzellen verändern, sondern auch in die Keimbahn eingreifen kann, gehe es aus ethischer Sicht um wesentlich fundamentalere Fragen: Was verstehen wir unter Krankheit? Welches Menschenbild haben wir? Wie wollen wir unsere Gesellschaft gestalten?
„Völlige Gesellschaftsvergessenheit der Forscher“
Unter ethischen Gesichtspunkten, betonte Christiane Woopen, stelle sie die genomeditorische Prävention und Therapie schwerer Krankheiten nicht in Frage, bei der man etwa die Stammzellen eines Risikopatienten oder bereits Erkrankten gezielt positiv verändere. Eine Gratwanderung unternehme jedoch, wer versuche, Erbkrankheiten durch eine Genomeditierung auch für künftige Generationen vorzubeugen oder zu heilen. Der US-Forscher George Church beispielsweise plädiere dafür, „schon bei den Keimzellen einzusteigen“, um Erbkrankheiten zu verhindern. Er schlage vor, die Stammzellen der Samenzellen im Körper des Mannes entsprechend zu verändern. Chinesischen Forschern sei es 2017 erstmals gelungen, pathogene Mutationen in eigens zu diesem Zweck gezüchteten menschlichen Embryonen durch Genomeditierung zu korrigieren. „Was an ihrer Publikation tatsächlich erstaunt“, sagte Woopen, „ist die völlige Gesellschaftsvergessenheit der Forscher, die in keinem einzigen Satz irgendeine ethische Problematik überhaupt nur thematisieren, und wie selbstverständlich davon ausgehen, dass ihre Methode, wenn sie irgendwann einmal sicher ist, auch breit eingesetzt wird“. Es sei aber, warnte Woopen, gar nicht sicher, ob mit der Genomeditierung in der Keimbahn nur Krankheiten behandelt oder nicht vielmehr der eigene Nachwuchs optimiert werden solle. Augen wie ein Adler, Muskeln wie ein Athlet und eine Intelligenz wie Goethe – so könnte beispielsweise in Zukunft der Wunsch von Eltern nach einem genprogrammierten „Enhancement“ ihrer Kinder lauten. Ließe sich das aber tatsächlich mit dem Ziel eins guten und gelingenden Lebens vereinbaren, an dem sich ethisches Handeln orientieren müsse?
„Wir stehen vor einer Menschheitsentscheidung“
Die Antwort darauf hänge weniger davon ab, ob und warum wir Embryonen im Sinne der vier intensiv diskutierten SKIP-Argumente von Spezies, Kontinuität, Individualität und Potentialität für schützenswert hielten, sondern vielmehr von unserem grundsätzlichen Menschenbild. „Wir alle wissen, dass uns unsere genetische Ausstattung zufällig mitgegeben worden ist“, erinnerte Woopen. „Wir verdanken uns nicht der Entscheidung eines Labormediziners, der uns im Auftrag unserer Eltern mit bestimmten Eigenschaften ausgestattet hat.“ Diese unhintergehbare Unverfügbarkeit unserer Anfangsbedingungen garantiere jedem von uns die fundamentale Freiheit seiner Existenz und die Offenheit seiner jeweiligen Zukunft. „Es ist eine Menschheitsentscheidung, ob wir es dabei belassen oder damit anfangen wollen, unsere Nachkommen zu gestalten.“ Das seien zwei völlig konträre Auffassungen. Es gehe ja letztlich nicht um den Embryo zum Zeitpunkt des Eingriffs, sondern um den zukünftig geborenen Menschen. Auf ihr Recht zur Selbstbestimmung könnten sich dessen Eltern dabei nicht berufen, übten sie doch einen Akt der Fremdbestimmung aus.
Hinzu kämen Fragen nach Gerechtigkeit und Solidarität, sagte Woopen: „Wer soll Zugang zu solchen Behandlungen haben? Wie verhalten wir uns gegenüber Menschen, die Krankheiten und Behinderungen haben? Sagen wir: Blöd gelaufen, da ist nicht rechtzeitig in dein Genom eingegriffen worden? Oder sind wir von der Überzeugung getragen, jeder Mensch sei endlich, vulnerabel und kontingent, so dass sich in unserer Gesellschaft alle Menschen an- und aufgenommen fühlen?
„Ein globales Observatorium ist dringend notwendig“
Die Diskussion über die Genomeditierung werde derzeit von drei Gruppen bestimmt: Naturwissenschaftlern, Bioethikern und Politikfunktionären (z.B. von der OECD). Diese Gruppen träfen sich zwar manchmal auf Kongressen, man dürfe aber bezweifeln, dass sie sich wirklich zuhörten. Überdies gebe es viele Stimmen, die derzeit überhaupt nicht gehört würden, mahnte Woopen: „Was sagen die afrikanischen Länder dazu, wenn eine gesamte Pflanzenlandschaft genetisch verändert wird? Was halten die Menschen in Südamerika davon, wenn Tierbestände genetisch vollständig verändert werden?“ Ein großer Teil „moralisch gehaltvoller Vorstellungen in dieser Welt“ werde in der aktuellen Debatte nicht berücksichtigt, weil diese von Sicherheitserwägungen dominiert sei. Sie unterstütze deshalb die jüngst in Harvard ergriffene Initiative, ein „Global Observatory“ für die Genomeditierung einzurichten. Eine solche Institution würde für einen „Paradigmenwechsel“ stehen: „Wir brauchen nicht primär Regeln und Gesetze, sondern wir brauchen primär erst einmal einen offenen globalen Diskurs.“ Dessen Ziel wäre es, im Rahmen einer kosmopolitischen Ethik einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber zu finden, wie die Technik der Genomeditierung eingesetzt werden solle. Diesen Konsens zu erzielen, sei dringend geboten. Man müsse nur an Chinas Absicht denken, einen flächendeckenden Citizen Score einzuführen. „Sollte der Staat darin solchen Eltern Pluspunkte geben, die ihren Nachwuchs nach den Vorstellungen des Staates genomeditieren, dann wird die Uhr nur schwer zurückstellbar sein.“