Geheilte Patienten, gebeutelte Kassen?
An den Folgen der viral bedingten Leberentzündung Hepatitis C sterben jedes Jahr mehr Menschen als an AIDS. „Bis 2011 profitierten nur etwa vier von zehn Patienten von einer medikamentösen Behandlung, die oft von schweren Nebenwirkungen begleitet war – heute gibt es Medikamente, die mehr als 90 Prozent aller Patienten fast ohne Nebenwirkungen heilen“, betonte Prof. Manfred Schubert-Zsilavecz, Vizepräsident der Goethe-Universität, bei der Eröffnung des ersten Perspektivengesprächs des House of Pharma & Healthcare. Dieser Fortschritt hat allerdings seinen Preis. Selbst als „Frühlingsschnäppchen“ in der Internet-Apotheke sei zum Beispiel das Präparat mit dem Wirkstoff Sofosbuvir jüngst für knapp 20.000 Euro für 28 Tabletten angeboten worden, was einem Drittel der für eine 12-wöchige Behandlung notwendigen Menge entspricht, ergänzte Prof. Jochen Maas, Forschungsleiter des Unternehmens sanofi in Deutschland und Vorstandskollege von Prof. Schubert-Zsilavecz im 2013 gegründeten House of Pharma & Healthcare.
Mit seinen Perspektivengesprächen möchte das House of Pharma & Healthcare von nun an regelmäßig dazu beitragen, auf einer neutralen Diskussionsplattform zwischen Positionen aller Interessengruppen des Gesundheitswesens im Rhein-Main-Gebiet zu vermitteln. „Was darf echte Innovation kosten?“ lautete die Leitfrage des ersten Gesprächs, in dessen Mittelpunkt ein Vortrag von Prof. Stefan Zeuzem stand. Als Hepatologe von Weltrang ist der Direktor der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Frankfurt maßgeblich an der klinischen Prüfung neuer Hepatitis-C-Medikamente und der kontinuierlichen Aktualisierung der Behandlungsleitlinien der Fachgesellschaften beteiligt.
Erfolgreiche Elimation des Virus
Tückischerweise bleiben akute Infektionen mit dem Hepatitis-C-Virus, dessen Struktur erst 1988 entschlüsselt wurde, in etwa drei Viertel aller Fälle unbemerkt und ziehen nur grippeähnliche Symptome nach sich. Bis zu 85 Prozent dieser Infektionen gehen jedoch in eine chronische Form über, die bei rund einem Drittel der Patienten zu einer Leberzirrhose führt. Schätzungsweise ein Viertel aller Fälle von Leberkrebs werden von Hepatitis-C-Infektionen verursacht. Deren herkömmliche Behandlung erfolgte mit unspezifischen Interferon-basierten Kombinationstherapien, die oft länger als ein Jahr dauerten und wegen ihrer Nebenwirkungen für die meisten Patienten nicht zu ertragen waren. Die neuen Medikamente greifen dagegen das HC-Virus in seinem Vermehrungszyklus direkt an. Polymerasehemmer wie Sofosbuvir sind oral verfügbar, müssen nicht mehr injiziert werden und eliminieren das Virus bei den allermeisten Patienten innerhalb von drei Monaten. Weil das HC-Virus im Gegensatz zu HIV und Herpesviren ein reines RNA-Virus ist, das seine Erbinformation nicht in DNA umschreiben kann, ist die Elimination endgültig, falls keine Neuinfektion erfolgt.
„Man kann Patienten, die eine HCV-bedingte Leberzirrhose haben, heute nicht mehr nicht mit Polymerasehemmern behandeln“, verdeutlichte Stefan Zeuzem. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiQ) halte die Viruselimination jedoch für einen „Surrogatparameter“ und verlange allen Ernstes prospektive klinische Studien, die einen Zusatznutzen der neuen Medikamente mit „harten Endpunkten“ wie Transplantation oder Tod nachweisen. „Methodisch mag das einwandfrei sein“, sagte Zeuzem, „aber ethisch ist es nicht vertretbar.“ Denn angesichts der hohen Wirksamkeit und Verträglichkeit der neuen Medikamente dürfe man nicht zwei Patientengruppen miteinander vergleichen, in der die eine das Medikament erhalte und die andere nicht. Das sei so ähnlich, als verlange man, den Überlebensvorteil beim Nutzen von Fallschirmen dadurch zu belegen, dass man eine Gruppe von Probanden mit und die andere ohne Fallschirm aus einem Flugzeug springen lasse.
Nicht-Behandlung mit neuer Therapie wäre noch teurer
Den hohen Preis der Behandlung müsse man, so Zeuzem, in Relation zu den eingesparten Folgekosten sehen. Sei es doch beispielsweise wesentlich günstiger, Leberkrebs zu verhindern als ihn zu behandeln. Selbst wenn die medikamentöse Heilung einer HCV-bedingten Leberzirrhose mit rund 60.000 Euro zu Buche schlage, so entspreche das doch nur gut der Hälfte der Kosten einer Lebertransplantation, von den volkswirtschaftlichen Ersparnissen durch die höhere Produktivität der geheilten Patienten ganz abgesehen. Die für ihre strengen Maßstäbe bekannte britische Gesundheitsbehörde NICE habe deshalb nicht ohne Grund die Kosteneffektivät der neuen Hepatitis-C-Medikamente anerkannt.
Der Preis von Präparaten wie Sofosbuvir erkläre sich überdies nicht allein aus den wirtschaftlichen Kalkulationen der Pharmaunternehmen, die dabei ihre hohen Forschungsausgaben und –risiken einrechneten, sondern auch aus der Unfähigkeit der deutschen Krankenkassen, in den Verhandlungen mit den Herstellern geschlossen aufzutreten. So hätten ein Großteil der Kassen längst Einzelverträge mit dem Hersteller von Sofosbuvir abgeschlossen, während ihr Gesamtverband weiter mit diesem verhandele. Gleichzeitig setzten manche Kassen niedergelassene Ärzte massiv unter Druck und drohten ihnen mit Regressforderungen, falls sie ihren Patienten die teuren HCV-Medikamente verschrieben.
Insgesamt, so bilanzierte Professor Zeuzem, zeichneten sich aber dank zunehmenden Wettbewerbs bereits sinkende Preise für die neuen Polymerasehemmer ab. In manchen europäischen Nachbarländern seien die Preise deutlich geringer. „Ich schicke alle meine Patienten, die Selbstzahler sind, nach Schweden – dort kostet die 12-Wochen-Therapie 40 Prozent weniger als in Deutschland.“