Krankheiten aufhalten, bevor sie ausbrechen


Konzept der "Diesease Interception" als Chance und Herausforderung

Die Fortschritte der medizinischen Diagnostik werden es in Zukunft immer mehr erleichtern, Krankheiten zu erkennen, bevor sie Symptome verursachen, und folglich therapeutisch so rechtzeitig einzugreifen, dass ihr Ausbruch verhindert werden kann. Das daraus abgeleitete Konzept der „Disease Interception“ wirft aber nicht nur medizinische, sondern auch ethische und finanzielle Fragen auf, wie in dem von Janssen Deutschland angebotenen Workshop deutlich wurde, der unter dem Titel „Neue Diagnose- und Therapiemöglichkeiten“ fragte „Wie sieht das Gesundheitssystem von morgen aus?“. Moderiert von Dr. Dorothee Brakmann bezogen dazu folgende Experten unterschiedlicher Fachrichtungen Stellung: Professor Georg Heß vom Universitätsklinikum Mainz, Rechtsanwalt Dr. Christian Stallberg, Professorin Eva Winkler vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg sowie Andrea Haßelbacher als betroffene Patientin. Dorothee Brakmann betonte zur Einführung, dass sich im Bereich der Diagnose- und Therapiemöglichkeiten momentan ein Paradigmenwechsel vollziehe. Mehr und mehr gehe es nämlich im Sinne einer „Disease Interception“ darum, Menschen mit erhöhtem Erkrankungsrisiko besonders zu überwachen und so früh wie möglich zu behandeln. „Stellen Sie sich vor, wir könnten zum Beispiel Diabetes vom Typ I oder die Alzheimersche Krankheit verhindern, bevor sie ausbrechen!“ Dazu gelte es, Menschen mit erhöhtem Erkrankungsrisiko vor allem in jener Lebensphase engmaschig zu überwachen und zu behandeln, in der sie „nicht rundum gesund, aber auch noch nicht richtig krank sind“. Experten sprechen hier von dem so genannten „Interception Window“. „Ich bin ein Typ, der wissen möchte, was auf ihn zukommt, und welche Möglichkeiten ich habe, damit umzugehen“, sagte im Anschluss daran Andrea Haßelbacher, deren Ärzte bei ihr die Krankheit Smoldering Myeloma feststellten. Als sie an dauerhafter Erschöpfung litt, nahm man zunächst an, dass ein Burnout die Ursache war. Nach langjähriger, erfolgloser Therapie erkannten die behandelnden Ärzte schließlich eher durch Zufall die Erkrankung, in deren Verlauf sich bösartige Plasmazellen im Knochenmark ausbreiten. Zwar sei die Krankheit noch immer nicht heilbar, erklärt die Betroffene, „aber ich bin froh, nun zumindest eine Erklärung für meine dauerhafte Erschöpfung zu haben, und kann mich entsprechend verhalten.“

Recht auf Nichwissen

Sobald die Möglichkeit bestehe, eine ernsthafte Erkrankung zu heilen oder deren Symptome zu lindern, sei eine möglichst frühzeitige Diagnostik von Menschen zu empfehlen, bei denen aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ein hohes Risiko für deren Ausbruch zu vermuten sei, sagte Georg Heß. Dabei sollten unter Umständen auch Screenings zu Hilfe genommen werden. Anders liege der Fall aber, wenn es (noch) keine erfolgversprechenden Therapien für eine solche Krankheit gäbe. Darüber hinaus sei es schwierig zu entscheiden, ab welchem Risiko Kostenträger das Geld für eine prophylaktische Therapie bezahlen sollten. Eva Winkler verwies auf die Möglichkeit, das aus der Humangenetik bekannte Recht auf Nichtwissen auf den Bereich der „Disease Interception“ auszuweiten. Im Sinne der Patienten-Selbstbestimmung gelte es, Betroffene – beispielsweise von Chorea Huntington – je nach individuellem Bedürfnis auf Wunsch auch von „Ohnmachtswissen“ zu verschonen Christian Stallberg verdeutlichte schließlich die juristischen Aspekte der Thematik. Krankenkassen übernähmen Behandlungskosten üblicherweise dann, wenn die Patienten in einem regelwidrigen Zustand und durch ihre Beschwerden im Alltag eingeschränkt seien. „So, wie das System momentan ist, würden hier viele ‚Interception- Kandidaten‘, die ja offiziell noch gesund sind, durchs Raster fallen.“ Für ihn steht fest: „Die Kostenträger, die prophylaktische Therapien und Medikamente bezahlen sollen, müssen von Anfang an in die Entscheidungsfindung eingebunden werden.“