Von der Produkt- zur Patientenzentrierung

Digitale Gesundheitsanwendungen eröffnen neue Wege der therapeutischen Kommunikation

Die Digitalisierung verändert die Gesundheitsversorgung in schnellen Schritten. Das wurde in einem Workshop deutlich, zu dem der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) eingeladen hatte. Dessen stv. Hauptgeschäftsführer Dr. Hermann Kortland umriss dabei den gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen sich diese Veränderung in Deutschland vollziehen wird. Das Digitale-Versorgung-Gesetz, das aller Voraussicht nach bereits 2020 in Kraft treten werde, sei „eine kleine Revolution“. Sie werde nicht nur zur zügigen Verwirklichung lange verschleppter Vorhaben wie der elektronischen Gesundheitsakte und des elektronischen Rezepts führen, sondern den Patienten auch völlig neue Möglichkeiten eröffnen. „Versicherte bekommen einen Leistungsanspruch auf Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen“.

Dank der Digitalisierung werde sich das Geschäftsmodell pharmazeutischer Unternehmen von der Produkt- zur Patientenzentrierung wandeln, sagte Dr. Traugott Ullrich (Dr. Willmar Schwabe). In „Pharma 1.0“ sei das Produkt der Endpunkt der Wertschöpfungskette gewesen. In „Pharma 2.0“ werde es zum Startpunkt für digitale Mehrwertservices. Das schmälere nicht die Bedeutung des Produktes, denn „Medikamente sind ganz besondere Produkte, weshalb wir uns zu Recht in einem höchst regulierten Markt bewegen“. Es bette das Medikament aber in seinen eigentlichen Kontext ein, denn der Patient sei für den Behandlungserfolg mindestens so wichtig wie der Wirkstoff. „Unser Plan ist nicht die digitale Transformation unseres Unternehmens, sondern mit digitalen Mitteln viel näher an den Patienten zu kommen.“ Das könne die Therapietreue (Adhärenz) der Patienten deutlich erhöhen. So vertreibe Schwabe beispielsweise ein pflanzliches Medikament zur Behandlung der Herzinsuffizienz, welches seine Wirksamkeit erst nach einigen Wochen wahrnehmbar entfalte. Damit die Patienten in diesem Zeitraum nicht abspringen, bietet Schwabe ihnen eine App, über die sie ihre Sauerstoffsättigung messen und vom ersten Tag deren allmähliche Besserung nach Belastung feststellen können. Ein Präparat zur Behandlung von Schwindel ergänzt die Firma mit einer App, die die Patienten zum Gleichgewichtstraining anleitet. Mit Ärzten andererseits kommuniziert sie intensiv über ihre „Schwabe Premium App“.

 

„Unplanbarkeitstoleranz“ fördert Kooperation

Ein wenig weiter entfernt vom Endkunden arbeitet Joss Hertle (Sanofi-Aventis Deutschland) an der digitalen Transformation seines Unternehmens mit. „Digitalisierung ist erst einmal nichts anderes als ein Handwerk, bei dem es gilt, gleichzeitig im Maschinenraum zu sein und Visionen zu entwickeln, die das Top Management begeistern“, sagte er. Vieles, was man aus dem klassischen Arzneimittelgeschäft kenne, werde in Zukunft nicht mehr funktionieren. So kursierten Zahlen, wonach 50 Prozent allen Apothekenumsatzes demnächst über digitale Plattformen abgewickelt würden. Auch Gesundheitsplattformen kämen auf ein neues Level, wie man am Pilotversuch der Technikerkrankenkasse mit Ada Health in Hamburg sehen könne. „Wir wissen zwar nicht, ob das Neue besser sein wird, müssen im Zweifelsfall aber mithalten können.“ Man müsse gleichzeitig das „Core Business stärken und digitale Produkte entwickeln, die dem User schmecken“. Digitalisierung erfordere deshalb in erster Linie „Unplanbarkeitstoleranz“. Um diese besser bewältigen zu können, sei Kooperation das Gebot der Stunde. Nicht nur mit Start-ups, bei denen es oft schwerfalle, die Spreu vom Weizen zu trennen, sondern auch mit „alten Kontrahenten“. So habe etwa Sanofi zusammen mit Roche einen Inkubator gegründet, „der uns hilft, die richtige Auswahl an digitalen Start-ups zu finden“.

„Wir bekommen viele Anfragen solcher Start-ups“, sagte abschließend BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Hubertus Cranz und betonte: „Wir sehen uns auch als Vertreter der Hersteller digitaler Gesundheitsanwendungen.“