Personalmangel in der translationalen Medizin?

Jahrestagung des House of Pharma nimmt Qualität von Ausbildung und Forschung in den Blick

Vor zwölf Jahren wurde an der medizinischen Fakultät der Universität von Pennsylvania das ITMAT gegründet – das weltweit erste Institut für translationale Medizin. Sein Ziel ist es, in Zusammenarbeit mit allen medizinischen und naturwissenschaftlichen Fachrichtungen des dortigen Standorts hochqualifiziertes Personal auszubilden, das in der Lage ist, tragfähigere Brücken zwischen biomedizinischer Grundlagenforschung und Klinik zu schlagen. Denn selbst nach dem Proof of Concept in Zellkulturen und Modellsystemen stürzen die allermeisten neuen Wirkstoffe auf dem Weg zum Patienten ab. Dass nur durchschnittlich zehn Prozent der Entwicklungspräparate, die die klinische Phase I erreichen, zu einem zugelassenen Arzneimittel würden, spiegele einen akuten Mangel an qualifiziertem Personal wider. Das sagte der Direktor des ITMAT, Prof. Garret A. FitzGerald, in seinem Impulsvortrag bei der Jahrestagung des House of Pharma & Healthcare.

Besonders kritisch sei die Situation in der Phase II der klinischen Prüfung. Hier komme es darauf an, nicht nur den Wirkmechanismus eines Entwicklungspräparates erstmals am Menschen zu erproben, sondern auch die Diversität seiner Wirksamkeit und Verträglichkeit bei verschiedenen Patienten genau zu analysieren. Um das zu leisten, müsse man sowohl einen starken wissenschaftlichen Hintergrund haben, um präklinische Studien auswerten und in ihrer Begrenztheit begreifen zu können, als auch über differenzierte Kenntnisse der klinischen Medizin verfügen. Die Zahl entsprechender Experten sei aber an Universitäten, in Unternehmen und bei den Zulassungsbehörden gering. Infolgedessen seien viele teure Phase III-Studien zum Scheitern verurteilt, weil sie unzureichend geplant würden. Das ITMAT bietet deshalb unter anderem eine Ausbildung zum Master of Science in Translational Research an. Mit gutem Erfolg, wie FitzGerald berichtete: „Absolventen, die in die Klinik zurückkehren, erweisen sich dort als engagierte Fürsprecher der translationalen Wünsche der Labore und umgekehrt.“

Gute Startrampen für Nachwuchsforscher

Wie es in Deutschland um die Beschleunigung des Weges neuer Arzneimittel aus der Grundlagenforschung zum Patienten bestellt ist, diskutierten im Anschluss an den Vortrag des amerikanischen Pioniers drei deutsche Professoren. Zweifelsohne, sagte Matthias Kleiner, sei Deutschland als weltweit führender Wissenschaftsstandort seit der Jahrhundertwende wesentlich internationaler geworden. Die finanzielle Förderung junger Forscher erfolge hierzulande sogar früher als in den USA, betonte der Wissenschaftsmanager, der bis 2012 die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) leitete und seit 2014 der Leibniz Gemeinschaft vorsteht. Beispielhaft verwies er auf die Startrampen-Anschubförderung der DFG. Überdies habe Deutschland 2015 pünktlich das vom Europäischen Rat vorgegebene Ziel erreicht, drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Forschung und Entwicklung zu investieren. Bezogen auf die Forschungskompetenz von Medizinern hob Kleiner das DFG-Programm „Clinician Scientists“ hervor.

Dennoch sollte an deutschen Schulen deutlich mehr in die Lebenswissenschaften investiert werden, mahnte Steven Hildemann, Global Chief Medical Officer der Merck KGaA. Auch Kenntnisse in Bioethik und Informatik müssten früher und intensiver vermittelt werden. Unter den Studierenden der deutschen Universitäten sei die Kenntnis der Berufsbilder und -anforderungen in der Industrie nur schwach ausgeprägt. Sein Unternehmen versuche dem dadurch zu begegnen, dass es frühzeitige Praktika anbiete. Merck profitiere davon, Forschungszentren in Darmstadt und Boston zu haben, stelle aber fest, dass das Potenzial hervorragender Führungskräfte in Massachusetts höher sei als in Hessen.

„Den jungen Leuten mehr Luft zum Atmen lassen“

Aus der Sicht des Universitätsprofessors beklagte Stefan Laufer die dramatisch gesunkene Grundfinanzierung der deutschen Universitäten. An seinem Tübinger Lehrstuhl für Pharmazeutische und Medizinische Chemie erhalte er heute pro Studierendem noch 43 Prozent der Grundzuweisung von 1999. Entsprechend stark gestiegen sei für Nachwuchsforscher der Aufwand für Drittmitteleinwerbung. Das verändere den Charakter der Forschung. „Früher hat man sich Geld für seine Forschung gesucht – heute sucht man, wo Geld ist, und forscht dann auf diesem Gebiet!“ Immerhin sei das Pharmaziestudium bereits „intrinsisch translational“, sagte Laufer, der auch als Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft fungiert. Diesen Vorteil müsse man noch besser für die Vermittlung integrativer Fähigkeiten nutzen. Aus gutem Grund dauere das Pharmaziestudium in den USA wesentlich länger als in Deutschland. Fertigkeiten zu vermitteln, die vor allem auf den Dienst in der Apotheke vorbereiten, dürfe dagegen nicht das vorrangige Ziel des Pharmaziestudiums sein. Wünschenswert sei es, Silos abzubauen: „Es ist ein Anachronismus, dass Mediziner und Pharmazeuten heute noch getrennte Pharmakologievorlesungen haben.“

Um Silos aufzuweichen und der Verwirklichung neuer Ideen – und damit auch der medizinischen Translation – mehr Erfolgschancen einzuräumen, werde Merck in seinem künftigen Innovationszentrum Menschen, Technologien und Fähigkeiten aus verschiedenen Fachbereichen zusammenbringen, sagte Steven Hildemann. Dieses Zentrum werde zwar auch ein Gebäude sein, vor allem für eine Denkweise stehen, in der ein offener und produktiver Austausch zwischen Mitarbeitern, Start-ups, Visionären und Unternehmen aus aller Welt gepflegt werden soll. Matthias Kleiner gab zu bedenken, dass dieser Offenheit in Deutschland häufig steile Hierarchien entgegenstünden, besonders in der Universitätsmedizin: „Diese Hierarchien müssen flacher werden. Wir Alten müssen den jungen Leuten mehr Luft zum Atmen lassen.“

Für die deutsche Arzneimittelforschung, machte Matthias Kleiner klar, wäre es außerdem förderlich, wenn Pharmaunternehmen weniger häufig der Gefahr eines vorschnellen „academic branding“ unterlägen. Denn Forschungsergebnisse aus Institutionen wie Johns Hopkins oder Harvard seien nicht per se besser als beispielsweise solche aus dem Hamburger Heinrich-Pette-Institut.