Nur ein Teil der Wertschöpfung bleibt in Deutschland

Fehlendes Folgekapital behindert Arzneimittelinnovation

Deutschland verfügt über eine hervorragende Forschungslandschaft, in der mehr und mehr Gründergeist blüht. Es ist in der frühen finanziellen Förderung von Start-up-Unternehmen in den vergangenen Jahren immer besser geworden und inzwischen stark aufgestellt. Es tut sich aber nach wie vor außerordentlich schwer damit, seinen jungen Unternehmen insbesondere im Bereich der Biotechnologie und Pharmazie ausreichend viel Kapital für eine nachhaltige Skalierung und Internationalisierung zugänglich zu machen, so dass diese häufig entweder eingehen, vor sich hin kümmern oder abwandern. Mit dieser fast einhelligen Meinung bekräftigten die Teilnehmer der Podiumsdiskussion im Anschluss an die Keynote von Professor Rübsamen-Schaeff deren Forderung nach besseren Finanzierungsbedingungen für Start-ups und Spin-offs. Einzig Dr. Stefan Simianer, Forschungschef von AbbVie Deutschland, lag als Vertreter eines Großunternehmens mit acht international vernetzten Forschungsstandorten nicht immer auf der Linie seiner Mitdiskutanten, wenn er zum Beispiel nicht nur Finanzierungs-, sondern auch Mentalitätsfragen für die besprochene Innovationskluft verantwortlich machte.

„Spitzenforscher finden zu wenig Geld für die Translation“

„30 der 50 besten Forschungsinstitutionen der Welt liegen in der Europäischen Union“, sagte Dr. Werner Lanthaler, Vorstandsvorsitzender von Evotec. „Die Spitzenforschung ist also hier. Deren Ergebnisse in marktfähige Produkte umzusetzen, überlassen wir in unserer Industrie heute aber typischerweise den USA und zunehmend auch China.“ Es hapere hierzulande an einer effektiven Translation von der Idee zur Innovation. „Wir erschaffen Vision, Getriebe und Motor für die neuen Drugs und die Amerikaner und die Chinesen bringen sie auf die Straße.“ Angesichts der Tatsache, dass Deutschland das viertreichste Land der Welt sei, könne es doch nicht sein, dass für Translationszwecke „um 60 Prozent weniger Geld vorhanden ist als in den USA und um 90 Prozent weniger als in China“. Was hülfe es, so Lanthaler, eine „wunderbare Ersthilfe und Erstfinanzierung“ für Start-ups zu haben, wenn wie derzeit mehr als 97 Prozent des weltweiten „Follow-on-Kapitals“ aus den USA und aus China kämen. „Damit shiftet das geistige Eigentum weg, dann dürfen wir uns nicht beschweren, wenn wir unsere eigenen Innovationen anderswo einkaufen müssen.“ Wie viele Biotech-Börsengänge habe es in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren gegeben, fragte der Evotec-Chef und winkte im gleichen Atemzug ab. Das fatale Motto sei doch: „Wir gründen in Deutschland, nehmen das Talent in Deutschland, dann gehen wir in New York an die Börse und verlegen, um langfristig erfolgreich zu sein, bald darauf auch unseren Firmensitz in die USA.“

„Wir müssen Versicherungen als Wagniskapitalgeber gewinnen“

Fehlende Börsengänge hätten auch mit der Überalterung der Gesellschaft zu tun, sie reflektierten ein konservatives und eher risikoaverses Anlageverhalten, entgegnete der Beiratsvorsitzende des High-Tech Gründerfonds, Dr. Matthias Köhler vom Bundeswirtschaftsministerium. Insgesamt betätigte er Lanthalers Bestandsaufnahme. „Für die Frühphase der Gründung haben wir viele erfolgreiche staatliche Maßnahmen ergriffen, sehen aber massive Probleme in dem Moment, in dem Start-ups skalieren und einen Kapitalbedarf von deutlich mehr als zehn Millionen Euro haben.“ Um diese Finanzierungslücke zu schließen, verfolge das Wirtschaftsministerium zwei Strategien: Altes Industriekapital, das Unternehmerfamilien in Family Offices angesammelt hätten, durch geeignete Anreize zu aktivieren und institutionelle Anleger wie zum Beispiel Versicherungen für Biotechinvestitionen zu gewinnen. Es sei nämlich keinesfalls so, dass Versicherungen nicht ein gewisses Maß an Risiko eingehen dürften. Wenn sie diesbezüglich derzeit dennoch die Beteiligung an etablierten Unternehmen durch Private Equity einer Wagniskapitalvergabe vorzögen, läge das an Wissensdefiziten. In Europa hätten sich mit Wagniskapital nämlich in den vergangenen 15 Jahren Renditen von 12 bis 14 Prozent erzielen lassen. Diese Zahlen habe der Europäische Investitionsfonds, der wichtigste Wagniskapitalgeber Europas, beim jüngsten Dialog des Ministeriums mit der Versicherungswirtschaft präsentiert. Um dieser die Angst zu nehmen, so Köhler, sei es wohl am besten „an Strukturelemente anzuknüpfen, die uns in Deutschland immer stark gemacht haben, nämlich öffentlich-private Kooperationen“. Deswegen sei das Ministerium dabei „Dachfondskonstruktionen zu schaffen, die institutionellen Anlegern einen Teil des Risikos durch eine Garantie des Bundes abnehmen“. Ihm sei nicht wohl bei der Vorstellung, Arzneimittelinnovation „aus dem geschlossenen Raum Deutschland heraus zu steuern“, das sei im globalen Wettbewerb wenig Erfolg versprechend, wandte Stefan Simianer ein. „Wir schauen als forschungsintensives Unternehmen weltweit nach Anknüpfungspunkten und stellen immer wieder fest, dass deutsche Start-ups es nicht schick finden, sich mit großen Firmen einzulassen.“ Auch das sei ein Grund, warum internationales Kapital in Deutschland nicht annähernd so viel bewege wie anderswo. Helga Rübsamen-Schaeff verwies überdies darauf, wie merkwürdig und hinderlich es sei, dass die Pharma- und Biotechbranche in Deutschland viel schlechter angesehen sei als etwa die Autoindustrie: „Jeder fragt nach einem E-Auto, aber wenige nach einem neuen Medikament.“ Es gelte deshalb, in der deutschen Bevölkerung ein immer stärkeres Bewusstsein dafür zu schaffen, „dass wir eine hervorragende Branche sind“. In diesem Zusammenhang zitierte Moderator Andreas Lebert, Chefredakteur von ZEIT Wissen, zum Schluss der Diskussion einen Vorschlag, der ihn Online aus dem Publikum erreicht hatte: „Wie wäre es, wenn Besserverdienende vom deutschen Staat nicht mit höheren Steuern belangt, sondern zu Investitionen in Forschung und Entwicklung verpflichtet würden?“

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