Zwischen Gespräch und Gesetz

Rückblick 5. Jahrestagung 2016 Podiumsdiskussion zu den Ergebnissen des Pharmadialogs:

Der Pharmadialog der Bundesregierung hat Vertrauen geschaffen. Darin waren sich bei der fünften Jahrestagung des House of Pharma & Healthcare die Teilnehmer der Podiumsdiskussion über dessen Ergebnisse und die sich daraus ergebenden Perspektiven einig. „Die da miteinander am Tisch gesessen haben, können sich jetzt Tag und Nacht anrufen“, sagte Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, unter Zustimmung seiner Gesprächspartner. Ob und inwieweit dieses Vertrauen aber auch die gesundheitspolitische Praxis in Deutschland zugunsten der Innovation verändern wird, darüber bestand durchaus Dissens.

Umsatzschwelle als Innovationshürde?

„Wir sind mit großer Zuversicht in diesen Pharmadialog gestartet“, sagte Dr. Hagen Pfundner, Vorstand der Roche Pharma AG. Mit Rückblick auf die vergangenen zwei Jahrzehnte sei es einzigartig, dass die Bundesregierung einen ressortübergreifenden Dialog mit einer Industriebranche geführt habe. „Man hat offenbar erkannt, dass diese Industrie gut zu Deutschland und seiner Zukunft passt.“  Dass Deutschlands Stellung als „Apotheke der Welt“ der Vergangenheit angehöre, sei eine Legende: „Wir haben hierzulande heute so viele Arbeitsplätze in der Pharmaindustrie wie nie zuvor.“ Dementsprechend seien als Ergebnis des Pharmadialogs im April 2016 Verabredungen publiziert worden, „die uns sehr optimistisch gestimmt haben“. Umso größer sei die Enttäuschung über den im August vorgelegten Referentenentwurf des Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (AM-VSG). Dem schloss sich Dr. med. Patrick Horber, Sprecher der Geschäftsführung von AbbVie Deutschland, an. „Ich sehe keine Kongruenz zwischen Worten und Taten“, monierte er. „Der Dialog, in dem wir offen über viele Details gesprochen haben, war sehr ermutigend. Der Referentenentwurf aber konterkariert den grundsätzlich erzielten Konsens darüber, wie man gleichzeitig den Pharma-Innovationsstandort und die Patientenversorgung in Deutschland stärken kann.“ Besonders heftig kritisierten Pfundner und Horber die im Referentenentwurf vorgesehene Umsatzschwelle: Nur bis zum Erreichen dieser Schwelle (sie wurde inzwischen auf 250 Millionen Euro festgelegt) sollen Pharmaunternehmen den Preis für ein Arzneimittel mit neuem Wirkstoff im ersten Jahr nach dessen Markteinführung frei bilden dürfen.

Lutz Stroppe hielt dem entgegen, dass viele Vereinbarungen des Pharmadialogs, die auch im Sinne der Pharmaindustrie seien, vom Referentenentwurf nicht negativ berührt würden. „Es überrascht aber nicht, dass es bei der Frage der Finanzierung des Gesundheitssystems noch einmal zu intensiven Diskussionen kommt.“ Das dürfe man nicht überdramatisieren. Von den 140 Medikamenten, die bisher eine Dossier- oder Kosten-Nutzen-Bewertung beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIQ) durchlaufen hätten, wären beispielsweise nur vier von einer Umsatzschwelle von 250 Millionen Euro betroffen gewesen.

Dennoch erhöhe die geplante Umsatzschwelle die Hürde für Arzneimittelinnovation in Deutschland abermals, meinte Dr. Wolfgang A. Rehmann, Experte im Pharmarecht und Partner bei Taylor Wessing. Die Nutzenbewertung für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen und das Preismoratorium für Arzneimittel ohne Preisregulierung gebe es bereits seit geraumer Zeit. „Warum aber haben wir unser gegenwärtiges System? Weil wir wollen, dass die Innovation ohne weitere Prüfung erst einmal Marktzugang hat“, sagte Rehmann. „Wenn man das mit einer Umsatzschwelle weiter erschwert, müsste man eigentlich ehrlich sein und Preisverhandlungen in Zukunft vor dem Marktzugang führen, wie das in anderen Ländern auch der Fall ist – mit der Folge, dass man Innovation auf dem Markt nicht mehr finden wird. Man sollte sich fragen, ob man das will oder nicht.“

Der Mut zu Innovationen sollte im Referentenentwurf besser berücksichtigt werden, plädierte Prof. Manfred Schubert-Zsilavecz, Präsident des House of Pharma & Healthcare, dafür, insbesondere die Nutzenbewertung „aus Sicht der Wissenschaft nachzujustieren“. Von der im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom IQWIQ durchgeführten Nutzenbewertung hängt die Preisbildung neuer Arzneimittel nach dem ersten Jahr ihrer Markteinführung ab. „Ich bin dafür, dass man den Nutzen bewertet, aber es geht darum, wie das gemacht wird und welche Verfahren angewendet werden.“

Ministerium will nur behutsam nachsteuern

Zweifel an den Verfahren der Feststellung eines Zusatznutzens neuer Medikamente gegenüber herkömmlichen Vergleichstherapien äußerte auch Hagen Pfundner. Das IQWIQ verfolge einen technokratischen und keinen klinischen Ansatz: „Wenn bestimmte formale Kriterien nicht erfüllt sind, gibt es keinen Zusatznutzen“. So entstehe der Eindruck, was keinen Zusatznutzen habe, nutze nicht. Das aber sei völlig falsch. „Dem neuen Arzneimittel wurde ja von der Zulassungsbehörde bereits bestätigt, dass es wirkt und nutzt.“ Wenn das nicht anerkannt werden, könne das zu Marktaustritten führen: „Die Frage, gehe ich mit einer Innovation in den deutschen Markt oder nicht, finde derzeit in den Pharmaunternehmen tatsächlich statt.“

Lutz Stroppe, der angesichts der Überzahl von Gegnern des Referentenentwurfes auf dem Podium einen schweren Stand hatte, sah die Situation weit weniger pessimistisch.

„Wir brauchen auch Medikamente, die keinen Zusatznutzen haben“, betonte er. „Wir brauchen diese Therapiealternativen in der täglichen Anwendung. „Wenn wir bei chronischen Erkrankungen auch nur am Horizont einen Zusatznutzen sehen, ist die wirtschaftlichste Vergleichstherapie nicht mehr allein ausschlaggebend. Dann kann der Preis bereits im ersten Jahr nachverhandelt werden.“ Für ihn und das Bundesgesundheitsministerium bleibe es dabei: „Innovationen kommen direkt in den Markt und haben im ersten Jahr die Möglichkeit der freien Preisbildung“. Dass man bei extrem teuren Sprunginnovationen – wie den äußerst effektiven Polymerasehemmern zur Therapie der Hepatitis C – in Zukunft „in kleinem Bereich nachsteuern“ werde, ändere an diesem Grundsatz nichts.

Jetzt zur 6. Jahrestagung House of Pharma & Healthcare am 5. September 2017 anmelden: www.convent.de/pharma 

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