Maßgeschneiderte Inhibitoren statt Repurposing!

Präsident des House of Pharma & Healthcare rechnet in frühestens zwei Jahren mit effektivem Covid-19-Medikament

Der Durchbruch zu einer medikamentösen Therapie von COVID-19-Erkrankungen kann nur durch die Entwicklung von Arzneimitteln gelingen, die maßgenau der Struktur und dem biologischen Verhalten des SARS-Co2-Virus entsprechen. Für ein Arzneimittel, das der notwendigen Trias aus Wirksamkeit, Verträglichkeit und pharmazeutischer Qualität Genüge tut, muss man dabei mit einem Zeitraum von zwei bis vier Jahren rechnen. Der Einsatz von Arzneimitteln, die bereits gegen andere virale oder parasitäre Infektionen geprüft oder zugelassen sind, wie man ihn im Sinne eines Repurposing gleich nach Ausbruch der Coronakrise vernünftigerweise zu prüfen begann, hat demgegenüber kaum Aussicht auf Erfolg, wie die bisher vorliegenden Ergebnisse zeigen. Diese Position vertrat der Präsident des House of Pharma & Healthcare, Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, in seiner Key Note, mit der er den letzten Tag des „German Corona Showcase“ eröffnete, den Bio Deutschland, der Branchenverband der deutschen Biotechnologie-Industrie, vom 23. bis 25. Juni als e-Vent veranstaltete. 

 

Vorgänge in der Wirtszelle adressieren 

Weil Viren im Gegensatz zu Bakterien über keinen eigenen Stoffwechsel verfügen, an dem man sie pharmakologisch packen könnte, ist es generell ein schwieriges Unterfangen, antivirale Wirkstoffe zu entwickeln. Dennoch seien in den vergangenen Dekaden bei der Entwicklung solcher Wirkstoffe – auf der Basis intensiver Grundlagenforschung über die Eigenarten der jeweiligen Viren – zwei besonders bemerkenswerte Erfolgsgeschichten geschrieben worden, einmal in der Therapie von HIV-Infektionen, zum anderen bei der Behandlung von Hepatitis C. „Während 2011 nur vier von zehn Patienten, die an einer chronischen Hepatitis C litten, auf die damals verfügbare Therapie ansprachen, werden heute dank neuer Wirkstoffe nahezu alle Betroffenen tatsächlich geheilt.“ Deutlich habe sich in beiden Fällen eine Erkenntnis herauskristallisiert: „Antivirale Wirkstoffe mit höchster Wirksamkeit adressieren Vorgänge in der Zelle, in der das Virus sich vermehren will.“ Hervorzuheben seien Inhibitoren viruseigener RNA-Polymerasen und Proteasen, die das Virus zu seiner Replikation zwingend braucht. Das gelte auch für die Bekämpfung von Sars-CoV-2. „Alle Versuche, dieses Virus mit Hilfe von Antikörpern oder Entry-Inhibitoren außerhalb der Zelle auszuknocken, sind meiner Ansicht nach zum Scheitern verurteilt.“ Auch Fusionsinhibitoren, die die Einschleusung des Virus in Endosome der Wirtszelle verhindern, böten wenig Hoffnung.  Zu ihnen zählten auch die aus den 1940er Jahren stammenden Malaria-Mittel Chloroquin oder Hydroxychloroquin, deren Prüfung gegen das neue Coronavirus trotz vielen Aufhebens enttäuscht hätten. „Wir können davon ausgehen, dass diese Substanzen bei der Behandlung von Covid-19 keine Zukunft haben.“

 

Ernüchternde Ergebnisse mit bekannten Substanzen

Allerdings habe auch das Repurposing bereits anderweitig geprüfter Protease- und RNA-Polymerase-Inhibitoren bisher nicht die Erwartungen erfüllt. So habe man anfangs stark auf das in der HIV-Behandlung bewährte Kaletra® gesetzt, die Kombination der beiden Protease-Inhibitoren Lopinavir und Ritonavir, jedoch mit ernüchterndem Ergebnis. Die erste belastbare klinische Studie, die das New England Journal of Medicine am 7. Mai publizierte, zeigte keine Überlegenheit dieses Präparates bei der Behandlung schwerkranker Covid-Patienten gegenüber einer Standardversorgung. Das sei freilich kein Grund, die Suche nach maßgeschneiderten Hemmstoffen von Sars-CoV-2-Proteasen aufzugeben. „Erste Erfolge eines strukturbasierten Designs zeichnen sich ab.“

Auch für die RNA-Polymerase des neuen Coronavirus lägen inzwischen präzise Strukturdaten vor, auf die sich bauen ließe, um bessere Wirkstoffe zu synthetisieren als das bekannte Remdesivir. In zellbasierten Tests habe diese „in der Synthese und Löslichkeit schwierige Substanz“ zwar Aktivität gegen andere humanpathogene RNA-Viren gezeigt. Auch sei es vor fünf Jahren in Tierversuchen an Primaten erfolgreich gegen das Ebolavirus getestet worden. „Es gibt aber keine einzige klinische Studie, die nachweist, dass es die Mortalität von Covid-Patienten reduziert.“ Die Studie, in der das National Institute of Allergy and Infectious Diseases der USA Remdesivir an 1063 schwerkranken Covid-Patienten gegen Placebo prüfte, habe Ende April als positives Ergebnis der Verum-Therapie nur eine Verkürzung der Zeit bis zur Zustandsverbesserung der Patienten von 15 auf elf Tage festgestellt, jedoch keinen signifikanten Unterschied bei der Sterblichkeit. Dennoch habe die amerikanische Zulassungsbehörde bereits am 1. Mai eine Emergency Use Authorization für Remdesivir erteilt. „Ich staune, mit welcher Geschwindigkeit diese Substanz in den USA zugelassen wurde, obwohl die Studiendaten, auf denen die Zulassung beruht, nur in Form von Pressemitteilungen kommuniziert wurden. Das spiegelt die Not wider, in der wir uns befinden.“ Er sei gespannt, wie die Europäische Zulassungsbehörde in dieser Sache entscheiden werde, sagte Schubert-Zsilavecz, und hielt fest: „Diese Substanz ist nur so etwas wie ein Notnagel. Was wir brauchen, sind maßgeschneiderte Inhibitoren. Wahrscheinlich liegt der Schlüssel zum Erfolg in einer Kombination aus SARS-CoV-2-spezifischen Protease- und Polymerase-Inhibitoren.“

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