Gesundheit ist nicht teilbar

One Health ist ein Kernelement nachhaltiger Entwicklung

ADME, das Akronym, hinter dem sich die englischen Wörter für Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechselung und Ausscheidung verbergen, ist jedem Arzt und Apotheker geläufig. Das Kürzel umreißt die Aufgaben der Pharmakokinetik, die untersucht, was unser Körper mit einem Arzneimittel macht. „Wie die Arzneimittelrückstände, die wir ausscheiden, auf unsere Umwelt und damit wiederum zurück auf uns Menschen wirken, darüber haben wir uns bisher zu wenig Gedanken gemacht“, nannte Prof. Jochen Maas, Vizepräsident des House of Pharma & Healthcare, ein prägnantes Beispiel für den One-Health-Ansatz, der alle Faktoren einbezieht, die unsere Gesundheit beeinflussen. Ein noch immer vernachlässigter Faktor ist dabei die Gesundheit des Planeten, auf dem wir leben. „Wir müssen uns vor Kosten schützen, die kommen, wenn wir weiterhin dämlich handeln“, sagte Prof. Andreas Mulch, der stv. Generaldirektor des Frankfurter Senckenberg-Museums, in der von ZEIT-Redakteur Jan Schweitzer moderierten Podiumsdiskussion beim Hauptstadt Summit des House of Pharma and Healthcare in der Hessischen Landesvertretung in Berlin. „Wir dürfen die Natur nicht als Girokonto betrachten, von dem wir einfach abheben, weil immer wieder was draufkommt. Sie ist das Kapital, von dem wir leben.“ Zwar gibt es, woran Dr. Holger Bartz, Leiter der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung der Janssen-Cilag GmbH, erinnerte, in Deutschland seit 30 Jahren den Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, aber der kümmert sich mehr um schädliche Einflüsse der Umwelt auf den Menschen als das gesamte Wechselspiel im Auge zu haben.

Gefährliche Grenzüberschreitungen

Dessen Komplexität verdeutlichte Andreas Mulch an einem historischen Beispiel. Der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im April 1815 war so heftig, dass er in Europa eine Klimaveränderung verursachte und 1816 zu einem Jahr ohne Sommer machte. In Irland traf diese schockartige Abkühlung und Nässe eine monokulturell vom Kartoffelanbau geprägte Landwirtschaft, über die die englische Krone verfügte, ohne die einheimischen Bauern an den Erlösen zu beteiligen. „Ein Klimaproblem, das Missernten hervorrief, Missmanagement und eine schlechte Versorgung, und dazu kam 25 Jahre später ein aus Nordamerika eingeschleppter Krankheitserreger, der auf die Kartoffel spezialisiert war“, sagte Mulch. Die Folge: Eine große Hungersnot, an der eine Million Menschen starben, und die zwei Millionen weitere zur Auswanderung trieb. „Bis heute hat Irland diesen Schnitt in der Bevölkerungsentwicklung nicht verdaut.“

In der Corona-Pandemie spiegelten sich ähnlich komplexe Zusammenhänge, sagte Jochen Maas. Wenn man davon ausgehe, dass SARS-CoV-2 der Fledermaus entstamme, dann habe es dieses Virus vermutlich schon lange gegeben, allerdings nur in bestimmten Fledermauspopulationen am Amazonas oder am Kongo. „Die Sache wurde dadurch gefährlich, dass wir Menschen die Regenwälder roden und unsere Nutztiere auf die gerodeten Flächen treiben. Das führt dazu, dass Viren, die sich eigentlich in einem festen Kreislauf innerhalb des Regenwalds bewegen, plötzlich Artengrenzen überschreiten und Nutztiere und Menschen befallen.“ Einer aktuellen Schätzung zufolge gebe es wahrscheinlich 80.000 verschiedene Fledermaus-Viren. „Da sehen wir, was uns bevorstehen könnte.“ Immerhin habe Brasilien ein Programm zur Genkartierung von Fledermausviren aufgelegt. Genotypen von mehr als 12.000 Viren lägen schon vor, so dass die Chance bestehe, im Falle des Ausbruchs der Pandemie rechtzeitig einen Impfstoff zu entwickeln. Auch der Klimawandel trage dazu bei, dass sich Grenzen verschieben, nicht nur durch die Invasion von Insekten und Erregern, sondern auch von Pflanzen, die es bisher bei uns nicht gab, sagte Maas. „Damit tauchen hier ganz neue Allergien auf.“

Anreize für neue Antibiotika

Stark herausgefordert ist der One-Health-Ansatz auch angesichts zunehmender Antibiotikaresistenzen und einer drohenden Pandemie durch multiresistente Bakterien. Die meisten großen Pharmaunternehmen sind dennoch längst aus der Antibiotika-Forschung ausgestiegen. Sie setzen darauf, aussichtsreiche Substanzen, die die akademische Forschung oder Start-ups bis in die Phase II der klinischen Prüfung gebracht haben, bis zur Zulassung weiterzuentwickeln. Aus nachvollziehbarem Grund, wie Jochen Maas sagte: „Die Entwicklung eines neuen Antibiotikums kostet mehr als eine Milliarde, aber wenn es Erfolg zeigt, besteht die wissenschaftliche Übereinkunft darin, es so wenig wie möglich einzusetzen, weil es ja ein Reserveantibiotikum sein soll.“ Das Geschäftsmodell, mit möglichst wenig Verkäufen Geld zu verdienen, habe aber noch keiner erfunden. Es bedürfe deshalb neuer Incentives, etwa in Form verlängerter Patentlaufzeiten oder spezieller staatlicher Förderung. „Es gibt natürlich auch neue Strategien der Antibiotika-Entwicklung“, sagte Holger Bartz, der darauf hinwies, dass sein Unternehmen weiterhin Anti-Infektiva erforsche. Interessant sei zum Beispiel der Einsatz von Phagen, also von Viren, die Bakterien auflösen.

„Viele Antibiotika werden längst nicht mehr bei uns produziert, sondern in Asien unter teilweise erstaunlich schlechten Arbeits- und Umweltbedingungen“, sagte Maas. Zum anderen seien Antibiotika in Indien frei verkäuflich. Das fördere die Entstehung von Resistenzen. Bei One Health gehe es tatsächlich, Gesundheit global im Blick zu behalten. In einem guten Gesundheitssystem wie dem deutschen wiederum wäre ein Diagnosesystem wünschenswert, das in kürzester Zeit entscheiden kann, ob eine bakterielle oder eine virale Infektion vorliegt. Denn heutzutage müssten die Ärzte einen Patienten noch einmal einbestellen, um das sagen zu können. „Also gehen sie auf Nummer sicher und verschreiben ein Antibiotikum, zumal sich das oft mit Sekundärinfektionen rechtfertigen lässt.“ Andreas Mulch machte darauf aufmerksam, auf welch unrühmliche Weise Massentierhaltung und Fleischproduktion zu Antibiotikaresistenzen führten. „Wir sind gut beraten, neue Wege der Ernährungssicherheit und des Genusses zu finden.“

Schmetterlinge im Garten

Die Menschheit müsse, sagte Mulch weiter, „ein Gefühl dafür entwickeln, dass uns die Natur unglaublich viele Leistungen mehr oder weniger umsonst zur Verfügung stellt“. Zum Glück sei das Verhältnis Mensch-Natur durch die Corona-Pandemie auf eine ganz andere Ebene als früher gekommen. „Immer mehr Menschen wissen zum Beispiel, was sie tun können, wenn es um biologische Vielfalt geht, jeder freut sich, wenn auf einmal mehr Schmetterlinge im Garten sind“. Mit einem weinenden Auge sehe er allerdings, „dass uns die globalen Konferenzen nicht in den großen Schritten voranbringen, die notwendig wären“. Dabei hätten manche Seiteneffekte der pandemiebedingten Lockdowns, sagte Holger Bartz, der geringere Kohlendioxidausstoß etwa, sich doch geradezu als Proof-of-Concept dafür erwiesen, dass und wie ein achtsamerer Umgang mit der Natur möglich ist. Fabian Leendertz, der Leiter des One Health-Instituts in Greifswald, halte sogar das Befinden von Zimmerpflanzen und Bäumen vorm Wohnzimmerfenster für einen Bestandteil von One Health, sagte Moderator Jan Schweitzer. Das sei den meisten Menschen nicht klar. Wie könne man das in die Köpfe hineinkriegen? „Die Menschen haben durch Corona einiges gelernt, aber auch schon wieder einiges vergessen“, sagte Jochen Maas. „Wir Menschen lernen das am besten, wovon wir als Individuen selbst betroffen sind.“ Deshalb sei er zuversichtlich. „Denn den Menschen sind Themen wie Gesundheit, Klima und Biodiversität in den vergangenen Jahren persönlich immer näher gerückt.“

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