Identität stärken, inspirieren, Differenzen aushalten - Führungsprinzipien für Forschungsleiter

Jahrzehntelang habe die pharmazeutische Industrie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrer Forschungs- und Entwicklungsteams vorrangig aufgrund ihrer  Fachexpertise rekrutiert. Ihre Kreativität sei dagegen kein explizites Selektionskriterium gewesen. „Darin liegt eine Ursache der gegenwärtigen Innovationslücke.“ Deshalb achte man bei Einstellungsgesprächen und in Assessment Centern inzwischen viel stärker als früher auf die Fähigkeit, über den Tellerrand des eigenen Fachgebietes hinauszuschauen, kreative Lösungen zu entwickeln und ein Team in Richtung Innovation zu führen. Mit diesen Bemerkungen eröffnete Prof. Dr. Jochen Maas, Vizepräsident des House of Pharma & Healthcare, dessen zweites Perspektivengespräch. Im Mittelpunkt stand ein Vortrag des Sozialpsychologen Prof. Dr. Rolf van Dick, der sich als wissenschaftlicher Direktor des Center for Leadership and Behavior in Organizations (CLBO) der Goethe-Universität mit seiner praxisorientierten Erforschung von Führungsprinzipien internationales Ansehen erworben hat.

Wenn Führungskräfte das kreative Potential ihrer Mitarbeiter optimal nutzen und sie in ihren Anstrengungen nicht demotivieren wollten, dann sollten sie, wie van Dick erläuterte und mit empirischen Daten belegte, ihr Handeln an drei Grundprinzipien ausrichten:

Es lohnt sich, die Identität des Teams zu stärken!

Es ist gemäß dem „Social identity approach“ ein fundamentaler Unterschied, ob ein Mensch sich vor allem als Individuum mit seinen Stärken und Schwächen begreift oder als Mitglied einer Gruppe, in der er sich vor allem über seine soziale Identität definiert. Dann teilt er mit der Gruppe eine gemeinsame Perspektive und Überzeugung. Er fängt an, sein Verhalten so zu koordinieren, dass es im Einklang mit den Normen der Gruppe steht. Er arbeitet mit Blick auf die Ziele der Gruppe und sagt sich: „Erfolge meines Teams betrachte ich als persönliche Erfolge“. Mitarbeiter, die sich mit ihrem Team identifizieren, sind besser motiviert, wollen das  Unternehmen seltener verlassen, sind leistungsfähiger, produktiver und gesünder. „Wenn man in der Forschung und Entwicklung arbeitet, dann sollten Kreativität und Innovation die Gruppennorm sein – was denn sonst?“,  betonte Rolf van Dick und folgerte: „Wenn sich Forscherinnen und Forscher mit ihrem Team identifizieren, sollte das also zu mehr Kreativität und Innovation führen“.

Es ist notwendig, inspirierend und prototypisch zu führen!

Wie aber sollte eine Führungskraft die Identität ihres Teams stärken? Indem sie unter Einsatz ihrer ganzen Persönlichkeit, die das Gruppenethos prototypisch repräsentiert, transformational und nicht nur transaktional führt! „Sie sollte sich um die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern. Sie sollte sie intellektuell anregen und fördern. Sie sollte sie inspirieren und motivieren, etwas zu wagen. Sie sollte sie durch ihr eigenes Vorbild ermuntern, neue Wege zu gehen und Neugierde und Mut zu zeigen“, sagte van Dick. Solche transformationale Führung weist in die Zukunft. Transaktionale Führung verwaltet hingegen meist nur die Gegenwart und erschöpft sich bestenfalls in Zielvereinbarungen: „Man sagt, wo es hingehen soll, verspricht eine Belohnung und hält sich an dieses Versprechen.“  Das ist in der Regel zwar hilfreich, führt aber nicht zu dem „Leuchten in den Augen des Teams“, das es speziell in schwierigen Zeiten über sich hinauswachsen lassen kann. Van Dick belegte seine Ausführungen anhand einer Untersuchung, die er zusammen mit zwei Kollegen aus Melbourne und Rotterdam an 23 Forschungsteams eines global agierenden Pharmaunternehmens vorgenommen hat. Dabei zeigte sich: „Wir finden besonders dann einen engen Zusammenhang zwischen Identifikation und Kreativität, wenn die Führungskräfte inspirierend und prototypisch für die Gruppe sind.“[1]

Persönlichkeitsunterschiede zu den Mitarbeitern des eigenen Teams dürfen nicht als Grundlage unterschiedlicher Beziehungen und Bewertungen dienen!

Zum Glück sind Menschen verschieden. Zur Erfassung der unterschiedlichen Dimensionen ihrer Persönlichkeit hat sich in der Forschung das Big-5-Modell etabliert: Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für Erfahrungen sind demnach die fünf wesentlichen Dimensionen, in denen sich die Persönlichkeit eines Menschen beschreiben lässt. Ein Forschungsteam gewinnt nun seine Innovationskraft oft gerade aus der Verschiedenheit der Persönlichkeiten, die ihm angehören. Führungskräfte neigen aber oft unbewusst dazu, Teammitglieder zu bevorzugen, die ihnen selbst ähnlich sind. Zu ihnen entwickelt sich ein besonders guter „Leader-Member-Exchange“(LMX), der Vertrauen und Aufnahme in die „in-group“ nach sich zieht. Andere Persönlichkeitstypen im Team bekommen dagegen weniger Aufmerksamkeit und Privilegien. Die Beziehung zu ihnen bleibt bestenfalls formal. Wenn sich eine Führungskraft dieser Ungleichbehandlung nicht bewusst wird und sie nicht korrigiert, schadet sie der Innovationskraft ihres Teams. Denn dann bestraft sie – zumindest teilweise - Kreativität statt sie zu fördern, so die Ergebnisse einer Studie über den Zusammenhang von Mitarbeiterkreativität und LMX, die Rolf van Dick jüngst mit chinesischen Kollegen in dortigen Unternehmen durchführte.[2] 

Anschaulich schilderte er den Mechanismus dieser Bestrafung: Kreativität beginnt mit dem Sammeln von Gedanken und der Generation von Ideen. Wie aber reagiert eine Führungskraft, wenn sie einen Mitarbeiter am Schreibtisch sitzen und Ideen generieren sieht?  „Der denkt gerade nach, da kommt bestimmt was bei raus“, werde wohl die Reaktion im Fall einer guten LMX-Beziehung sein. „Der träumt schon wieder rum statt vernünftig zu arbeiten“ im Fall einer schlechten. Ähnlich unterschiedlich werde das Bemühen von Mitarbeitern, neue Lösungen zu finden, auf den weiteren Stufen der Innovation wahrgenommen. Jede neue Idee will diskutiert und beworben sein, um Unterstützung für ihre experimentelle Erprobung zu gewinnen. „Prima, dass er sich mit den Kollegen abstimmt, ich bin gespannt, was sich daraus ergibt!“ - „Jetzt schafft der nicht nur wieder nichts, sondern hält auch noch die anderen von der Arbeit ab!“ mögen hierbei die unterschiedlichen Urteile lauten. Wenn es schließlich darum gehe, eine Innovation umzusetzen, deren Implementierung aber fehlschlage („die meisten Innovationen funktionieren zunächst einmal nicht“), dann könnten die Kommentare entweder lauten „Schwamm drüber, beim nächsten Mal klappt es bestimmt“ oder „Hätt’ ich mir doch denken können, schon wieder ein Projekt in den Sand gesetzt“.

Beide Mitarbeiter, so betonte Prof. van Dick, tun genau das Gleiche: „Beide riskieren etwas und versuchen, etwas Neues zu entwickeln. Aber der eine wird als positiver Mitarbeiter der Gruppe gewertet, der andere als deviantes Mitglied. Die Leistung des einen wird positiv beurteilt, auch wenn er scheitert, die des anderen nicht, wie sehr er sich auch anstrengen mag.“ Ein Mittel, um solche innovationshemmenden Effekte zu verhindern, ist die Einführung möglichst objektiver Leistungsbeurteilungen, sei es anhand messbarer Kriterien und/oder der Einschätzung durch mehrere Personen.


[1] Vgl. Hirst G, Van Dick R and Van Knippenberg D. A social identity perspective on leadership and employee creativity. Journal of Organizational Behavior 30, 963-982 (2009).

[2] Vgl. Rolf van Dick. Warum Kreativität bestraft wird. Harvard Business Manager Blog vom 1. Juni 2015. www.harvardbusinessmanager.de/blogs/innovation-lohnt-sich-nicht-a-1035759.html